Kommunikationsneurosen der Großeltern

Nur eine Sache kam in Verbindung meines Großvaters gelegentlich zur Sprache, wenn bei einer Geburtstagsfeier das Telefon klingelte. Auf den technischen Ausbau der Kommunikationswege und die neue räumliche Erschließung hatte er wohl – positiv gesprochen – sehr zurückhaltend reagiert. Er habe es damals als Ende der persönlichen Freiheit ausgerufen, ein eigenes Telefon im privaten Haus zu besitzen. Lange hatte er es gegen jeden gesellschaftlichen Druck geschafft, sich einer solchen „Apparatur des Terrors“ nicht zu unterwerfen. Als man ihm dann, in Absprache mit meiner Großmutter, zum Geburtstag „sehr spontan“ doch eines schenkte und es zum vollständigen Gelingen der Überraschung gleich angeschlossen hatte, empfand er diesen gut gemeinten Akt der Zwischenmenschlichkeit zwar als etwas übergriffig, er konnte und wollte sich in seiner netten Art letztlich aber auch nicht dagegen wehren. Er verstand das Geschenk als durchaus gut und ernst gemeinte und sehr ehrliche Aufmerksamkeit seiner Freunde. Und schließlich hatte seine Frau in letzter Zeit schon häufiger den Wunsch geäußert, sich durch das Gerät einige Reisen in die Stadt sparen zu können.

Das verstand mein Großvater nur zu gut. Zudem konnte er seine innere Unsicherheit nicht weiter verleugnen, denn auch er zweifelte längst an seinem Vorurteil gegen den Fortschritt und er hatte die nicht nur im beruflichen Alltag wirksamen Vorzüge der neuen Technik bei einigen Freunden und Bekannten mittlerweile auch durchaus selbst zu schätzen gelernt. Aus einem inneren Bedürfnis nach Ruhe, Sicherheit und aus Angst vor möglicher Überwachung zog er den Stecker am Gerät dennoch bis auf eine Stunde am Tag. Die „Stunde der Erreichbarkeit“, wie er es nannte, wechselte er zufällig ab und man musste wirklich Glück haben, ihn oder meine Großmutter an den Apparat zu bekommen. Das machte es für Außenstehende schwer. Für Involvierte galt es, sich damit zu arrangieren oder dazu zu verhalten. Wenn wir sie besuchten, fuhren wir deshalb einfach hin. Bemerkenswerterweise überforderte sie der spontane Besuch kein einziges Mal. Jedes Mal, wenn wir durch ihre stets offene Haustür in die Diele traten, schlug die Überraschung sogleich in große Freude um.