Wochenendeanfang

Ich rieche Anarchie in Ihrer Stimme
aber es tut gut, den Wind der
Freiheit zu spüren
heute etwas Mundgeruch
aber als Idealist
bleibt man standhaft
Schönheit kommt von innen
allerdings ist das
so eine
Sache
man kann sie nicht kaufen
es ist auch kein Zollstock dafür gemacht
und keine Waage
Menschen bringen was mit
das man erkennt, zeitlos
dann ist die Hoffnung kurz da
dass man irgendwo
immer wieder
wen trifft
der einfach nur sympathisch
ist
ohne Kompromisse
und das liegt
nicht an der Kleidung
nicht an der Sprache
nicht an der Figur, ihren Masken
es ist einfach so etwas
irgendwie
man vergisst kurz
dass ich auf
der Welt bin
dann ist es
wieder weg
kurz verstehe ich
die Crackjunkies in Kalk
nicht zu gut
aber
es bleibt eine Illusion
für heute
von gestern
bis morgen
erst einmal kurz
Wochenende
also vielleicht auch
ein Anfang
die Akkus
sind voll
für den Moment.

Es gibt viel Gutes
da draußen
wir sprechen uns.

Gastfreunde

Ich bin früh dran. Erreiche das Gebäude. Vor der Bibliothek steht die erste Gruppe. Werde begrüßt. Ihr Tagungsteam – die Grußformel ist jetzt persönlich. Das fühlt sich gut an.

Willkommen in der Forschung. Bestes Wetter, Kattowitz im Herbst. “Kann mir die Namen ganz sicher nicht alle merken”, sage ich. “Dafür genügt ein Blick ins Programm”, sagt er. Ich denke: Könnte ich die Namen so lesen, wie sie hier und heute klingen, dann wäre das einfach. Bin ich schlecht vorbereitet? Wird sich sicher zeigen.

Bin etwas aufgeregt, aber habe nichts zu verlieren; außer für heute und morgen und alles für immer. Nicht weniger pathetisch ist meine Hoffnung und mein Glaube daran, dass alles sehr gut wird. Ich freue mich wirklich, trotz der ungewohnten Situation. Fremdel in der Rolle, aber das Fremdeln ist mir nicht fremd. Das gibt Sicherheit.

Wir stehen in der Halle, vor der Ausstellung. Ich schaue mir ein paar Stellwände an. Komme mir noch etwas komisch vor, mich in eine Gruppe zu stellen. Während sich die Leute dort kennen, kenne ich sie nicht. Stellt man sich da einfach dazu? Was fragt man. Was sagen sie. Was kann ich antworten. – Ehrlicherweise muss ich feststellen: Das kann man natürlich nur erfahren, wenn man dabeisteht. Nicht separiert.

Die Tagungsleiterin bindet mich in ein Gespräch im Abseits und überwindet die sozialen Räume. Ein feines Gespür. Sicher sind die Aufregung und eine gewisse Unsicherheit gegenseitig; auf unterschiedlichen Ebenen. Aber es bleibt eine Anspannung in dieser Situation, die der Veranstaltung angemessen ist; die sie in das rechte Licht rückt. Es ist ein Ereignis. Ereignisse sind immer besonders. Besonderheit kennt keine Routine, auch wenn man sie kennt. Es ist jedes Mal neu. Für uns beide. Das wissen wir. Wir werden unterbrochen.

*** Einlass ***

Einer sagt: “Kommen Sie rein” und ich verstehe es wirklich. Er hält die Tür auf. Es klingt mächtig in den offenen Raum. Nicht akustisch. Die Resonanz ist reiner Widerhall. Ohne Klang. Klare Struktur, weil als Kontur nicht erkennbar. Spürbar. Anders. Nähe. Eine Einladung in den Saal. Darüber hinaus. In eine Region. Wie in das Leben. Tritt über die Schwelle. Gefühl. Entsprechend: Gewinn.

*** Offizieller Beginn ***

Es folgt eine Begrüßung in zwei Sprachen mit Übersetzer. Simultan. Der Ton meines Gerätes funktioniert nicht. Ich höre nur ein unbestimmtes Rauschen. Stehe auf und frage oben am Eingang nach einem anderen Gerät. Ersatz. Die Organisatoren helfen mir, stellen den Kanal ein. Jetzt klappt es. Ich gehe zurück, Kopfhörer im Ohr. Jetzt klappt sie, die Verständigung. Komme wohl endgültig an.

*** Eröffnung und Vortrag ***

Es folgen mehr als eine Begrüßung. Jede*r sagt etwas. Namen werden in der Reihenfolge vertauscht. Dank gebührt allen. Applaus. Einstimmung auf die Tagung. Diesen Tag und den nächsten. Hinführung zum ersten Höhepunkt: Eröffnungsvortrag. Ethischer Realismus als über sich hinausweisende Faktizität auf sprachlicher Ebene. Verstehe nicht alles beim Hören. Höre aber gebannt zu. Bin froh, dass der Text auch gedruckt wird. Genieße den Tag – jetzt schon.

Dann Pause. Mittagessen. Getränke, erste Gespräche.

***
Ich ahne jetzt, was hier noch möglich ist.
Wissen tue ich es nicht. Nicht mal,
dass ich es ahne.

***
Nicht ahne ich
die wirkliche Konsequenz
dieser nachhaltigen Begegnung
seit der ersten Minute
und darüber hinaus
bis an den Tag
da ich dies
als notwendig
schreibe.

Rückzug und Neuanfang

Gleichwohl hatte der Umzug als Rückzug und Neuanfang in gewohntem Gelände auch einen positiven Grund. Es war in dieser turbulenten Zeit zu einem Aufeinandertreffen gekommen, das sich als nachhaltig erwiesen hatte. An einem Freitag lernte sie beim Tauschen meinen Großvater kennen. Er war ein einfacher Mann gewesen, aufrichtig, treu und liebenswert. Sie trafen sich ein paar Mal, aber so kitschig es klingt: Beide wussten sofort Bescheid und vertrauten sich einander, dass es darum gehen würde, worüber man nicht sprach und was nun einfach passierte.

Vielleicht wäre mein Großvater  weiterer Rede wert, allerdings trafen wir uns nie persönlich. In Gesellschaft erzählten sie selten und wenig über ihn. Weder mein Vater, seine Mutter noch irgendwelche anderen Verwandten machten ihn zum Helden ihrer Anekdoten. Fotos gab es nur wenige. Ich erinnere genau genommen nur eins, auf dem er  einen sympathischen Eindruck gemacht hatte. Besonders fotogen erschien er  nicht zu sein. Zurückhaltend, schüchtern und ein „stattlicher Bursche“ mit dem man Pferde hätte stehlen, aber nicht darauf wegreiten können.