Auf dem Weg zu Heine

Ich steige aus der Bahn
und gehe auf die Straße
es ist wieder mächtig
was los, keine Masken
die Pandemie ist vorbei
in Frankreich lebt man
wieder von der Freiheit
und die Luft in der Stadt
ist besser, seit weniger
Autos und Zigaretten
das Leben bestimmen

ich suche den Weg
mein Smartphone ist
in die Jahre gekommen
der Akku ist leer, ich
finde so schnell keine
Ladestation, außerdem
habe ich das starke
Gefühl, dass ich mit
jemandem reden
möchte

Ein Mann kann mir
den Weg nicht erklären
er zeigt auf seine Uhr
obwohl er keine trägt
und er geht weiter
ein anderer ist nett
aber ebenso unwissend
ich sage nur ‚Heine‘ und
seine Augen sagen: „Das
muss ein Dichter sein!“

An dieser Stelle holt
uns die Vergangenheit
ein, denn einer schlägt
mir vor, ich müsse zur
Touristeninformation

dann setze ich mich
erst einmal in ein Café
und lebe das Leben
eines elitären Schnösels
der sich daran stört, die
Gräber der Alten nicht
zu finden, wie gefällig
schreibe ein Gedicht
ohne Reime, freie Verse
keine Regeln – weil ich
das kann, ich muss das
so tun, gegen die
Gedankenpolizei, die
mich kontrolliert, wenn
ich zu Hause bin, dann
fällt mir nichts ein

der Kellner hat sich
vertan und bringt mir
einen Rotwein statt
Kaffee und ich bin
dankbar, endlich
Alkohol, der Tag war
ohnehin zu vernünftig
gestartet, ich habe
mich extra für den
Helden rasiert!

Wie in einer Romanze
das ist halt Paris! Setzt
sich ein Mann an meinen
Tisch, er trägt Frauenkleider
und ich warte auf die, die
er eigentlich ist und dann
stelle ich fest, dass ich
nicht nur elitär, sondern
vermutlich auch spießig
bin, aber ich liebe die
Frauen mehr als den Mann
es geht nicht anders

eine Frau vom Nebentisch
zeigt mir auf Ihrem Handy
die Karte und sie erklärt mir
den Weg zum Friedhof
Montmartre, dort komme
ich heute nicht mehr an, denn
ich schaue ihr nur auf die Hände
in die Augen, verstehe kein Wort
und bin verloren in der Tatsache
dass ich gestern bei Heine davon
gelesen habe, dass Menschen
in der Welt leben und sich
manchmal treffen, wenn auch
nur flüchtig – liebt man sich
dann doch im ständigen
Vorübergehen

zum Abschied schreibe
ich uns allen ein Gruppenbild
und lege es Harry ans Grab.