Zeitgefühl

Die Formulierung in
der Überschrift dieses
Blogs suggeriert, dass
es ein Gefühl der Zeit
gibt, geben kann, das
man.mensch
singulär erfährt; in
Amerika ist die Zeit
aber eine andere, da
bin ich mir nach 12
Tagen nun sicher
der Morgen beginnt
etwas früher, abends
wird es etwas früher
dunkel, deshalb ist
die Messe im Prinzip
auch schon ab 5 Uhr
gelesen. Ab da stellt
sich der Körper so
langsam wieder
auf das Bett und
auf den nächsten
Tag, neue Heraus
-forderungen ein;
wichtig ist zudem
der Morgen ist dicht
intensiv, man schafft
das Wesentliche, die
Pause am Mittag ist
wichtig, nicht nur ein
Brot oder schnell
einen Burger. Wenn
man sich’s leisten
kann, dann muss
hier Entspannung
und ein Plausch
passieren. Gerne
mit einer Kollegin
oder einem *en
über die career
die man eigentlich
verfolgt hatte

der Abend ist
dann ein letztes
Einlaufen in den
Hafen. In Köln
liege ich anders
in den Wellen
so viel
ist sicher.

Y

New Haven besteht
im Prinzip nur aus der
Universität, also aus
Yale. Zumindest hängt
an fast jedem Gebäude
ein blaues Schild mit
weißer Schrift. YALE
ich habe eine Tour für
Touristen gebucht, sie
ist kostenlos und ich
stürze mich in das
Getümmel, von dem
ich zunächst nichts
ahne. Hätte ich das
gewusst, hätte ich
natürlich nicht meinen
Reisehoodie und die
10 Tage alte Jeans
angezogen, ich fühle
mich underdressed
und kann als Punk
nicht performen. In
der Gruppe sind
Leute aus Deutsch
-land, Argentinien
und die ehemalige
Nanny der Studentin
die unser Guide ist
sie ist aus NYC an
-gereist, was Abi
etwas irritiert, dann
ist sie aber schnell
in der Show, die in
Amerika überall, zu
jeder Zeit starten
kann. Sie kommt
aus New York City
studiert in Yale so
etwas wie Medical
Engineering, wenn
ich das richtig ver
-stehe und sie spielt
Soccer, also ist sie
auch ein athlete 
in Yale ist sie der
drei F wegen, sie
sagt
Fxxx [vergessen]
Friends
Food
paradoxerweise
ist das erste F das
akademische, deshalb
ist sie eigentlich hier
wenn man mal drin ist
dann sei das hier nicht
competetive, sondern
ein Teamplay, das Ding
man muss halt erst rein
und dann im Club der
Diversity aufgenommen
werden. Das Ziel ist
ehrenhaft, aber
in Amerika
kostet eben alles Geld
und ob hier wirklich
verschiedene Milieus
zusammenkommen
das würde ich gerne
überprüfen. In jedem
Fall frage ich mich hier
das erste Mal, ob unser
Vielfaltskonzept und
die Queerness der
westlichen Welt
möglicherweise eine
Selbstbehauptung der
Klasse imperialisitscher
Herrschaft sind oder
sein können, also so
eine Art Überlegenheits
-behauptung und ein
Claim of Deutungshoheit
gegen die neuen Wilden
die halt arm oder hetero
oder beides sind. Das
wiederum ist totaler
Quatsch, denn Oligarchen
und Autokratien suchen
ja irgendwie ihre Stärke
auch in einem Gesell-
schaftsentwurf. Deshalb
beende ich das Gedanken
-spiel. In jedem Fall ist die
Führung ein Erlebnis, ein
kleiner Junge hat sich in
Abi verliebt und er zeigt
das bald ein echter Mann
in ihm stecken wird, dem
Vater ist die Sache un-
angenehm. Eine Statue
von … er gilt als erster
Spion und die CIA hat
eine Replika, er wurde
kurz nach der Ankunft
in New York von den
Briten aufgehangen
um seine Füße ist ein
Seil, der Junge will
wissen, warum nicht
um den Hals, Abi
lacht und sagt: „Maybe
they wanted to give it
a more positive way…“
Dann enthüllt sie das
Geheimnis der Statue
da man nicht wusste
wie der echte Held
aussah, hat man 1914
einfach den schönsten
jungen Mann, der wie
ein echter Patriot aus
-sah, genommen er
ist nun das Denkmal
möglicherweise sind
alternative Fakten
doch keine so neue
Erfindung. Yale soll
auch der Ort sein
an dem viele firsts
located
sind. Ich
habe alle vergessen
glaube der Ham
-burger war dabei
egal, das hier ist
wirklich astonishing
dieses positive Gefühl
wie schön ein Studium
sein kann, lebt in der
ganzen Stadt. Das liegt
auch daran, dass man
das residential Prinzip
verfolgt, also die
Studierenden wohnen
in Dorms und werden
dann in Colleges
zusammengewürfelt
das klingt wirklich
gut, außerdem ist
das 6:1 Prinzip
maßgebend, das
ist ein Betreuungs
-schlüssel, den man
sich leisten können
oder wollen muss
genau das wird
auch die Basis
für diese Wärme
des Wissens sein
wichtig ist der
Studierenden, dass
überall professional
gearbeitet wird

das Essen muss
wirklich gut sein
sie erzählt drei Mal
davon, eine Frau
bittet dann, dass
sie nicht weiter
davon erzählen solle
es ist Mittag und der
Hunger spricht ihr
aus den Augen

in die Bibliothek
gehe ich später
alleine, weil unsere
Gruppe zu groß ist
auch da ist wieder
diese Nähe des
Wissens und die
Liebe zum Lernen
die hier aber nicht
eindimensional
gedacht wird, sondern
durch alle Dimensionen
der menschlichen Existenz
eine gute Forscherin ist
eben auch sportlich aktiv
mag gutes Essen und
sie lacht, tanzt und spielt

bald kommt die erste
Schneeballschlacht.

Benjamin Hitler

Der Mann frag mich
ob ich ‚Jewish‘ bin und
ich bin perplex, aber
ich verneine. Dann
sage ich , dass ich
aus Deutschland
komme. Er ist
fasziniert von New
Haven, weil man
hier so viele Menschen
aus der ganzen Welt
treffen würde, also
aus Uganda, Namibia
und jetzt auch aus
Deutschland. Dann
fragt er mich, ob
ich zur Schule gehe
und ich erkläre, dass
ich in Germany ein
Lehrer bin. Dann
fragt er mich, was
ich von Adolf Hitler
halte. Dann schaltet
die Ampel auf grün
was hier weiß ist
der Countdown
läuft und wir sind
wieder getrennt;
vermutlich für
immer. Hitler ist
scheiße, das gebe
ich natürlich noch
mit auf den Weg.

The Initial Moment

Ich bin bei Lievitos Pizza
den den dritten Abend in
New York, also New Jersey
direkt am Journal Square
und verlaufe mich sofort
weil die Blocks hier nicht
in römischer Geometrie
geplant worden sind
an Fußgängerampeln
steht nur, wer sich als
Fremder markiert
es ist fast so, als gäbe
es hier überall immer
und sofort ein Leben
zu verlieren, deshalb
geht man und man
wird nicht einfach
überfahren, es gibt
so eine Art ewigen
Reißverschluss
der die Menschen
chronisch bindet

ich gönne mir die
Ruhe und bleibe
einfach stehen

an Port Authority
gönne ich mir noch
einen Freshly Brewed
Kaffee, jetzt habe ich
das verstanden
nehme einen großen
Becher, aber in
Amerika ist Large
wirklich schon ein
Superlativ, am Ende
bekomme ich einen
Koffeinschock
während der Zeit
beobachte ich, wie
sich die Menschen
-massen Rolltreppen
hoch schieben zu
den Busterminals
alles wirkt wie in
einem Zukunfts
-szenario, aber
der Transit ist
schon hier und
heute. Ein Paar
trifft sich im Star
-bucks zur ge-
meinsamen
Rückfahrt nach
der Arbeit
ich breche auch
auf und habe Glück
am Anfang der
Schlange zu stehen
hinter mir telefoniert
eine junge Frau
sowieso wird hier
viel telefoniert zu
jeder Zeit und immer
das Business hat sich
erweitert, der Straßen
-bauer schaut in einer
kleinen Pause auf den
Instafeed, er schreibt
einen Kommentar

im Bus ist alles anders
hier hält die Fahrerin
an jeder Haltestelle so
lange bis wirklich jeder
und jede ausgestiegen
ist und wenn das nicht
der Fall ist, dann hält
sie noch einmal an
Geduld und Solidarität
sind hier spürbar, man
entschuldigt sich auch
für jede Kleinigkeit
das ist auf eine Weise
beeindruckend, ein
ganz anderes Amerika
triftt man hier, ich
sitze neben einem Mann
der sichtlich aufgeregt
ist, ob der Enge und ich
dachte bislang, dass nur
mir das so geht, wenn
sich Menschen zu viel
werden, als er der Bus
verlässt macht er einen
sehr sympathischen
Eindruck

am Journal Square schaffe
ich es an Tag 3 endlich, den
richtigen Ausgang zu nehmen
ich gehe die Straße hoch und
bestelle eine Pizza zum Mit
-nehmen und fühle mich ein
bisschen wie Kevin allein in
der großen Stadt, mit fast
40 kann man mal zurück in
die Kindheit verfallen, wenn
man sie als positives Trauma
in sich trägt. Der Mann an der
Kasse spricht englisch mit
italienischem (?) Akzent, ich
bestelle heute schneller als
vor 2 Tagen und er schaut
verwundert, sagt: „Barbecue
Chicken“, er hat ein Dejavú
und ich erkläre, dass ich
morgen abreisen werde
und dass ich diesen
wunderbaren Ort noch
einmal aufsuchen wollte

nach 20 Minuten komme
ich just in time wieder an
bekomme meinen Karton
und er überreicht mir die
Sache mit einem Blick
der mir erklärt, dass man
in New York ankommen
kann, und das liegt
vermutlich auch hier
an den Menschen

24 Stunden später
treffe ich „Benjamin“
auf einer Straße in
New Haven.

Standortbestimmung

Die Zukunft, die
ich aus den Filmen
kenne, hat
gerade begonnen
überall sehe ich
die alte Welt und
wie eine Kruste
löst sie sich ab
und darunter
wächst die neue
Haut und sie ist
bunter, jünger
und besser
vernetzt.
Die Zukunft ist
keine Nation
sondern
Gerechtigkeit
in zwei Welten
und drei Klassen
darunter ist der
einzelne Mensch
nichts wert

vielleicht gestalten
wir aber auch alles
anders

es gibt kein
zurück [sic!]

New York City

Ich hatte mir die Stadt
größer vorgestellt, das
Zentrum ist natürlich
groß, aber
für Amerika ist das
doch alles sehr normal
natürlich leuchtet
der Times Square in
der Nacht taghell und
die Menschenmassen
die sich durch die Stadt
schieben sind Wahnsinn
es sind Städter und viele
Tourist:innen aus aller
Herren Länder, das
ist sicher

in den Seitenstraßen
sieht man das Amerika
das gemeint ist mit
If you sit you are
NOT in the line
Schwäche wird sofort
bestraft, niemand
soll das große Lachen
trüben.
Am WTC Memorial
stürzt sich ein junger
Mann in den Brunnen
die Rettungssanitäter
fahren ihn auf einer
Bahre zum Kranken
-wagen, die Lage ist
stabil, zumindest
zeigt eine Sanitäterin
mit dem Daumen
nach oben und
die Polizisten sind
beruhigt.
Das Memorial ist
ein beklemmender
Ort, man muss Amerika
nicht mögen, aber dieses
Loch betrifft nicht nur die USA
hier geht es um Freiheit
und um Menschenrechte
ich frage mich dennoch
ob wir in einigen Jahren auch
nach Syrien, in den Jemen
oder an andere Terrororte
pilgern. Ein Pilgerstrom
schiebt sich auch über die
Brooklyn Bridge, am Fuß
der Brücke kommt das
Hafengefühl auf und man
merkt sofort, was durch
ein Flugzeug verloren geht
hier wird ein Haus verkauft
an alten Häusern hängen
Klimaanlagen außen, auch
an alten Hochhäusern
zumindest habe ich sonst
keine Erklärung, warum man
eine Klimaanlage im 30. Stock
an einem Fenster außen
montiert.
Die Freiheitsstatue sieht man
aus der Ferne, jeder Zentimeter
wird vermarktet, wer Geld hat
fliegt mit dem Hubschrauber
wer weniger Geld hat, fährt
mit dem Schiff, ich stelle mich
hinter den Zaun und mache
ein Foto von der Freiheit, die
ich meine.
In New York trifft sich der
Weltfrieden im Geld, das ist
schnell klar, für den Rest sorgen
die Gangs auf der Straße und
in den noblen Hotels, schnell
ist klar, dass jenseits der Nation
ein Bankkonto alle Fragen der
Integration klären kann, könnte
ich fühle mich sehr klein und
noch kleiner in Greenwich
oder SoHo, wenn ich Geld
hätte würde ich sicher auch
hier wohnen und meine
Sweater auf der 5th Ave
kaufen, aber ich habe nur
gerade so genug Geld
für diesen Trip und
komme mir trotzdem
großkotzig in NY vor
deshalb werde ich
vermutlich nie eine
Millionen machen
oder doch?
Eine Sache ist auch
klar, if you come from NY
you come from New York
im Bus setzt sich eine
deutsche Familie neben
mich und sie reden über
die Größe, den Platz
auf ihrem Klo in
Jersey City.
Ich habe mir einen leichten
Sonnenbrand auf dem Kopf
geholt, alles hier bleibt
ambivalent.
Vielleicht aber ist das hier
das einzige Schneller-höher
-weiter, das man gut finden
kann. Ich weiß es nicht.
Mit gemischten Gefühlen
landen heute auch die Jungs
der Nationalmannschaft.

Schreibstube

Das Appartement
in New Jersey ist eine
richtige Schreibstube
oben im dritten
Stock eines Hauses
die Treppe ist sehr
steil, aber wenn
man die Tür öffnet
dann kommt man
in ein kleines
Refugium, das
alles bietet
von der Toilette
zur Dusche bis
hin zum Kühlschrank
einer Mikrowelle
und einem Kühlschrank
sogar einen Abstellbereich
gibt es unter dem Dach
und natürlich einen
Schreibtisch und
ein Bett, neben dem
noch ein Nachttisch
seinen Platz findet

hier möchte ich
eigentlich gar nicht
mehr weg, aber
ich breche sofort
wieder auf und
versuche noch
etwas New York
zu erkunden

immer im Kopf
das die Nacht hier
in Amerika bislang
immer etwas früher
begonnen hat.