Der Feed ist heute
voll mit Tipps, mein
Leben soll besser
werden oder sein
ich bin ein Problem
ich bin nicht allein
zahlreich, alles ist
auf dem Weg zur
holistischen Blase
muss arbeiten, an
mir, mein Leben
damit ich dir gefalle
und meinem Herrn
und den anderen
damit der Glanz
die Illusion, alles
nicht einfach platzt
wie der faule Finnwal
am englischen Strand
der seit gestern die
Menschen anzieht
sie wollen den Tod
sehen und huldigen
dem Tier, das so
mächtig aussieht
obwohl es jetzt
nicht mehr atmet
…
meine Arbeit fällt mir schwer / wenn ich kein Zuhause habe wirkt mein Leben trostlos / wenn ich die Erinnerung nicht teile, bin ich lost / meine Hoffnung steckt irgendwo da draußen und in mir / wenn wir auf dem Strand liegen / kommen die Leute und sehen / dass alles eine Illusion war / das Leben überholt uns / der Sand sammelt sich zu glühenden Wolken / das Meer singt ein Frühlingsgewitter / der Wind treibt das Misstrauen auf die Weide / dort, wo gestern die Pferde grasen konnten, steht heute eine einsame Fotografin / sie sucht das Motiv der verlorenen Jahre / ihre Jugendliebe liegt auf 35mm in einer Schublade / das Haus am Stadtrand wurde verkauft / die Träume von gestern wurden durch eine neue Erzählung ersetzt / sie hat daran geglaubt, dass es den Wandel und das Neue braucht / er wollte mit ihr über etwas Privates reden / intime Details werden öffentlich verhandelt / aber danach nicht mehr besprochen / das Leben verfliegt und die Aufklärung führt nicht zu Empathie, sondern zur Schwerelosigkeit im Vakuum der Zeit / keiner sagt mir, dass ich mir vertrauen muss / das Problem bin nicht ich / niemand wollte jemals perfekt sein / alle sagen, dass das ginge / das ideale Bild führt mich ins Gas der Vergangenheit / die Reinheit des Gewissens ist eine rassistische Lüge / der Mann und die Frau, sie wollen uns dazu machen / wir wollten nie so sein / wir sind nicht die Gebärmutter und der Samen des totalitären Systems / wir arbeiten nicht für Funktionäre* / unsere Verantwortung tragen wir selbst / wir machen unser Menschrecht wirksam / wir sagen uns die Meinung / wir streiten uns / wir lieben uns / und wir können uns auf uns verlassen / wir können uns vertrauen / wir wissen, dass niemand von außen uns spalten wird, damit wir dann gegeneinander funktionieren / wir müssen nicht in Konkurrenz treten, den Profit steigern und Wachstum generieren / wir müssen nur in Ruhe gelassen werden, damit wir glücklich sein dürfen / wir schalten das Internet ab / niemand dort meint es noch gut mit den Menschen / wir sind die Hoffnung / wenn wir uns treffen, laden wir dich ein / wir teilen das Jetzt / wir träumen davon, dass die linke Revolution uns den Frieden bringt / nicht die Idylle der weißen Rasse wird siegen, sondern die bunte Gewissheit / jenseits der Autokratie können wir gemeinsam, zusammen und trotzdem nicht perfekt als Verschiedene sein / wir sind stark / und wir glauben an uns.
Die Stadt am Rhein
Im grauen Kalk, am grauen Rhein
Und gegenüber liegt der Dom
Wächter über den Dächern
Innig schweigend ohne Stille
Erhaben über der Stadt.
Vergeblich sucht man die Wälder
Auf Bäumen fliegen nur Papageien
Kein Wandern, kein Schreien im Herbst
Sommer wie Winter und zu jeder Zeit
fließt nur ewig davon – der Rhein.
Wie viel Herz hängt wirklich daran?
Das man von hier nicht verschwindet
Abenteuer der Jugend an anderer Stelle
findet und bleibt oder nicht, – allein
die Stadt, die uns ewig bindet
die Stadt ist wohl die am Rhein.
Zuerst am 04. November 2016, nach: Theodor Storm: Die Stadt (1852), in: Karl Otto Conrady (Hrsg.): Der Große Conrady. Das Buch deutscher Gedichte, erweiterte Neuausgabe, Artemis & Winkler/Patmos, Düsseldorf 2008, S. 489.
Vertrauen, verantwortlich
Irgendwo swipen Menschen
nach links oder rechts, es ist
eigentlich egal, jedes Match
lässt sich mit Jägermeister
zum Volltreffer machen, wir
vertreiben die Einsamkeit
wie Borderliner der Stadt
weil wir Angst vor der Liebe
und vor echten Gefühlen
haben, verweigern wir die
Verantwortung, wir werfen
uns, das, die gemeinsame
Zeit in den Müll, Fehlgeburt
des Algorithmus, dass wir
uns treffen, wäre ehrlicher
wenn wir es nicht täten
oder zumindest auf einem
Autobahnparkplatz
Die Digitalität hat uns
verstümmelt, Geburten
entstehen aus geplanten
Illusionen, wir betrügen
uns selbst und du dich
mach dir nichts vor, ich
bin nicht an dir interessiert
nur an deinem Bedürfnis
nicht alleine zu sein, ich
suche die Macht und
deine Ohnmacht geilt
mich auf, denn ich
erkenne nicht, dass
es mir genauso geht
Alle haben einen wichtigen
Beruf und ein tolles Leben
manche hoffen auf Sugar
Männer und Frauen suchen
das Aufstiegsversprechen
auf einer Funktionärsparty
ich dachte, die DDR wäre
ein verlorener Sieg in der
deutschen Geschichte
setzt man offensichtlich
auf Konstanz oder auf
die ewige Wiederkehr
der Nibelungen, ich bin
eifersüchtig, die Macht
des Helden ist unbesiegt
er fährt ein Auto, hat
mehrere Frauen, lässt
Kids für sich dealen und
feiert den Profit gegen
den Staat und mit ihm
das ist die Paradoxie
…
die Konstellation lässt
sich inzwischen auf alle
Geschlechter anwenden
sie ist universell, mehr
als die Menschenrechte
offensichtlich suchen
Menschen nach Macht
Unterdrückung und
Herrschaft durch
Dominanz, ich swipe
nach links und fühle
mich bedeutungslos
bin ich Herr oder Knecht
oder einfach die Dame
auf dem Schachbrett
die Partie geht gerade
erst los, alle sind
gespannt, alle?
–
Nun ist es jetzt so, dass
wir uns treffen jenseits
von Apps, Telefonen und
dem ganzen Internetgedöns
das ist für sich genommen
gefühlt schon ein Weltwunder
der Moderne, aber ich neige
zur Übertreibung, du auch
wir lachen und träumen
davon, dass wir unbesiegbar
in den Weltraum segeln
wir sind eigentlich fragile
Menschen, die sich von
der Gruppe entfremden
man kann so schlecht zu
Algorithmen tanzen, wenn
dann geht nur Marsch und
marschieren können wir
beide nicht, unsere Füße
tun weh von der Arbeit
ich höre dir zu und du
erzählst gute Geschichten
dass es das noch gibt, kein
Chat, keine Floskeln, nur
das Leben genügt für
den Moment, in dem wir
auf das Spaghettiwasser
warten, das frische Pesto
ist der einzige Luxus, den
wir uns leisten, wir verzichten
auf den Parmesan, eigentlich
des Geldes wegen, aber so
können wir vorgeben, endlich
vegan zu sein, und das spricht
auch für unseren Wohlstand
…
du erzählst davon, dass du
auf den Helden gewartet hast
und ich bin überfordert, aber
vielleicht auch nur im falschen
Film, denn wir leben nicht
in den 1990ern und das
obwohl wieder Krieg ist
…
in drei Tagen werden wir
uns wiedersehen und
in der Zwischenzeit bricht
der Kontakt ab, aber wenn
wir zusammenkommen
dann bringen wir uns die
Verantwortung zurück
und dazwischen beherrscht
uns das Vertrauen, dass man
die Erinnerung nicht einfach
durch Sequenzen der Freude
zu einer selbstvergessenen
Phrase des Seins werden
lässt, irgendwo kann man
einfach so leben, echt.
Auf dem Weg zu Heine
Ich steige aus der Bahn
und gehe auf die Straße
es ist wieder mächtig
was los, keine Masken
die Pandemie ist vorbei
in Frankreich lebt man
wieder von der Freiheit
und die Luft in der Stadt
ist besser, seit weniger
Autos und Zigaretten
das Leben bestimmen
…
ich suche den Weg
mein Smartphone ist
in die Jahre gekommen
der Akku ist leer, ich
finde so schnell keine
Ladestation, außerdem
habe ich das starke
Gefühl, dass ich mit
jemandem reden
möchte
…
Ein Mann kann mir
den Weg nicht erklären
er zeigt auf seine Uhr
obwohl er keine trägt
und er geht weiter
ein anderer ist nett
aber ebenso unwissend
ich sage nur ‚Heine‘ und
seine Augen sagen: „Das
muss ein Dichter sein!“
…
An dieser Stelle holt
uns die Vergangenheit
ein, denn einer schlägt
mir vor, ich müsse zur
Touristeninformation
…
dann setze ich mich
erst einmal in ein Café
und lebe das Leben
eines elitären Schnösels
der sich daran stört, die
Gräber der Alten nicht
zu finden, wie gefällig
schreibe ein Gedicht
ohne Reime, freie Verse
keine Regeln – weil ich
das kann, ich muss das
so tun, gegen die
Gedankenpolizei, die
mich kontrolliert, wenn
ich zu Hause bin, dann
fällt mir nichts ein
…
der Kellner hat sich
vertan und bringt mir
einen Rotwein statt
Kaffee und ich bin
dankbar, endlich
Alkohol, der Tag war
ohnehin zu vernünftig
gestartet, ich habe
mich extra für den
Helden rasiert!
–
Wie in einer Romanze
das ist halt Paris! Setzt
sich ein Mann an meinen
Tisch, er trägt Frauenkleider
und ich warte auf die, die
er eigentlich ist und dann
stelle ich fest, dass ich
nicht nur elitär, sondern
vermutlich auch spießig
bin, aber ich liebe die
Frauen mehr als den Mann
es geht nicht anders
…
eine Frau vom Nebentisch
zeigt mir auf Ihrem Handy
die Karte und sie erklärt mir
den Weg zum Friedhof
Montmartre, dort komme
ich heute nicht mehr an, denn
ich schaue ihr nur auf die Hände
in die Augen, verstehe kein Wort
und bin verloren in der Tatsache
dass ich gestern bei Heine davon
gelesen habe, dass Menschen
in der Welt leben und sich
manchmal treffen, wenn auch
nur flüchtig – liebt man sich
dann doch im ständigen
Vorübergehen
–
zum Abschied schreibe
ich uns allen ein Gruppenbild
und lege es Harry ans Grab.
Ein Händedruck
Wie durch einen Zufall
geben wir uns noch einmal
die Hand und ich packe zu
vielleicht zu kräftig, aber
wenn man Schüchternheit
überwindet folgt zu schnell
Solidarität durch Kraft
und Stärke kippt hilflos
zur Dominanz, dagegen
kann man sich nicht
schützen, selbst dort
wo man eine awareness
etabliert, bleibt man
viel zu oft kein Held
…
vermutlich ist es falsch
sich an der Kriegerlegende
zu messen, aber wenn ich
die Hand loslasse, dann
ist da nichts mehr und das
macht mir irgendwie Angst
obwohl ich dir eigentlich ja
bedingungslos vertraue.
Ein Abend wie früher
Wir sitzen zusammen
erzählen uns alte Geschichten
obwohl wir noch gar nicht
so alt sind, aber doch älter
jetzt sind wir die Generation
die über Häuser, Kinder und
die großen Lebensfragen
diskutiert, über die Rente
müssen wir nicht reden
weil wir Wohlstandskinder
sind und bleiben, und wir
werden was erben, was
uns den Rücken frei hält
andere haben nichts
noch nicht mal die Zeit
sich in der Gewerkschaft
zu organisieren. Wie gut
es uns geht, sieht man
bei 30° C in Kalk am
Nachmittag kehrt
eine Frau den Hausflur
sie ist trotzdem glücklich
und wir haben Hoffnung
…
Revoluzzer sind wir nicht.
Die Würde der Politik ist angetastet
Es mag Tage geben
an denen man besser
nicht zugibt, katholisch
zu sein und heute ist
keiner davon.
Ein Politiker singt
einen Schlager, das
Bierzelt feiert ihn
die Orgie eskaliert
zunächst nur
verbal.
Offensichtlich ist
die Macht so groß
und faszinierend
dass sich Stil und
Anstand nicht gut
mit ihr versehen.
Möglicherweise
ist es die Prüderie
des realistischen
Seins, dass man
die Fiktion für die
Wirklichkeit hält
…
In der Realität
singt ein Schlachter
über seine Sklaven
die den Mindestlohn
als Miete an ihn
zurückzahlen, seine
Frau hält fünf Kitze
auf Onlyfriends
ihre Kinder sind die
Influencer heute
von morgen.
Im Parlament will
eine Frau die Prostitution
unter Strafe stellen
meint sie das ernst
lenkt das nicht von
echten Problemen ab
und löst bestehende
nicht? Ein Mann fordert
das Abtreibungsverbot
er hat Angst, er achtet
auf seine Linie.
Die Absurdität des
Augenblicks treibt mich
in die Kirche, es ist sehr
heiß heute und draußen
kann es schlimmer kaum
werden, als dass man sich
nicht mal mit Gott
befassen könnte, der
singt wenigstens keine
Katastrophenschlager
…