Letzter Grashalm, Blumenwiese

Keine großen Fragen
stellen
das Mammut trampelt
täglich
durch die Tagesthemen
ausgestorben
es trägt sein Stolpern
durch die Geschichte
mit Fassung
ein Herz
Wohlstandskinder
Rio, Tokyo, New York
Hauptsacheweg
Luxus
Kinderarbeit
Bangladesch
„Wie viel ist dein Outfit wert?“
Pornografie
Komplex in Bergisch Gladbach
Prozess inzwischen gelaufen
Probleme ungelöst
Netzwerke der Gewalt
und Unterdrückung
Heides beste Bilder
damals fast
noch minderjährig
heute Hollywood
LA liebt den Sonnenschein
fast schon erwachsen
erwachsen genug
für LA
Hunger in Afrika
Empathie
Mangelware
Amputationen im Krieg
Egal
Schreie
Egal
Schicksale
Egal
Vergewaltigungen im Krieg

Menschen müssen helfen
egal wann
egal wo
egal wie
ein Tag nur
ohne Gewalt
wäre besser
nur wie
kann ein Mensch helfen
ein Mensch
egal
egal
ein Mensch
kann ein Mensch helfen
Frage an die Geschichte
Antwort steht aus
derweil Hoffnung, Würde
Menschheit
Glauben an

Gute Seele getroffen
heute.

Es gibt die andere Welt,
die gute,
machst du mit?

Gesucht wird die Wende

Eines Tages
in meiner neuen Sprache
werde ich sie finden
all die Worte
die man
in mich hineingestopft hat
als ich mich nicht wehren konnte
als man wollte, dass ich werde
was ich nicht geworden bin
und wenn ich mein Vokabelheft
von deinen Vorstellungen
befreit habe, dann
komme ich wieder
und nehme dich
in den Arm
und trage dir
mein
erstes
Gedicht
vor
und du
wirst es
lieben.

Danach, das Ich

Eingetrocknete Essensreste vom Teller zu kratzen, kann eine ganz schöne Herausforderung sein. Meistens gewinne ich den Kampf, bevor ich mich darauf einlasse. Der Klügere gibt nach. Ich esse entweder nicht oder von dreckigen Tellern, mit altem Besteck oder einfach mit den Fingern. Selbst der Ekel hat mich verlassen. Aufräumen war nie meine Stärke, aber früher kam ab und an Besuch. Da wollte ich die kleine Schwäche nicht offenbaren. Seit einiger Zeit bin ich allein. Alle um mich herum sind weggestorben. Ich bin der Letzte meines Stammbaums.

Heute ist Feiertag. Mein Weihnachtsgeschenk: Eine Backofen-Pizza mit einer Flasche Rotwein. Scheiß auf die Energiepreise. Aus der Schublade hole ich einen Kerzenstummel, den ich anzünde, um mich in Stimmung zu bringen. Das Fest der Liebe und Barmherzigkeit soll schließlich nicht zu kurz kommen. Sogar das Geschirr habe ich dafür gewaschen. Es ist ein Festtag für mich und meine Familie.  Ich feiere mit mir und beschenke mich selbst. In meiner Erinnerung kommen einige Verwandte. Sie sind erstaunlich gut gelaunt! Gut, dass niemand einen Streit beginnt. Ich bestimmte die Dramaturgie.

Der Kerzenstummel ist ausgebrannt. Es ist kurz dunkel und ich schalte das LED-Deckenlicht ein. Ganz schön hell. Es ist ungemütlich und Weihnachten wieder vorbei. Ich gucke jetzt auf die Uhr. Es ist sieben, nicht morgens, sondern am Abend. Früher bin ich manchmal noch in die Kirche gegangen. Doch nach dem Glauben an Gott hat mich auch meine Verzweiflung verlassen. Das fühlt sich nicht wie ein Verlust an. Eher wie eine Erleichterung.

In der ersten Fassung dieses Textes folgte das ›Ich‹ noch einigen Gemeinplätzen zur Prostitution, zu Gewalt und Verbrechen und zu dem Fetisch, den die Gesellschaft mit sich herumträgt. Ich habe diese Passagen heute gestrichen, weil dieses Weihnachten ein friedliches Fest war. Die großen Probleme gehen wir nächstes Jahr an. Dann kümmern wir uns noch einmal um die Dramaturgie in der neuen Gesellschaft.

Zigaretten, Rauch – neue Energie

Ich bin eine Ikone
die Presse zelebriert
mich
meine Person
mein Aussehen
meine Flüge durch die Welt
wenn ich gefragt werde
zitiere ich Studien
ohne Titel
ohne Inhalt
nur die Überschriften
schließe andere aus
die keine Zeit hatten
sie zu lesen
können nicht lesen
die anderen
die keine Nachhilfe bekommen
in der Schule werden
keine Studien gelesen
mehr als R-A-V-I-O-L-I
soll man außerhalb des Milieus
auch gar nicht verstehen
wichtig ist, dass sie arbeiten
für den Staat
für das Volk
für das Klima
weniger arbeiten wäre auch gut
für das Klima
weniger
rauchen war früher schon gut
für die Gesundheit
nicht für das Portemonnaie
der Unternehmer zwingt in die Abhängigkeit
bis dass der Tod uns scheidet
je früher, desto besser
das spart uns die Rente
ich fliege zu einer Konferenz
die Medien berichten
über mich
ich bin die Mission
das gute Gewissen
die neue Generation
ich kenne mich aus
ich kenne jemanden bei der Bank
ich kenne jemanden beim Rundfunk
ich kenne jemanden bei Gericht
ich kenne niemanden bei ALDI
ich kenne alle meine Onlyfans
beim Verlag feiern sie mich
als Autogrammkarte
sie googeln in mir
den neuen deutschen Film
den grünen Riefenstahl
wenn ein langer Tag vorüber ist
checke ich die Aktienkurse <3
und freue mich
dass der Strukturwandel
an mich und meine Familie denkt
dann ärgere ich mich über die Putzfrau
kürze das Schwarzgeld
und der Moderator fragt mich
was er morgen senden soll
er hat keine Ideen
und ich auch nicht
gute Nacht
.
.
.
Fortsetzung zensiert
.
.
.

Episode zur Christlichkeit

– Als Randnotiz sei bemerkt: Das passierte dann doch. Mittlerweile war alles wieder sehr gut organisiert. Es gab mehr als genug Holz und zu viele gute Werkstätten. Als die Aufträge eine Zeit lang ausblieben und die Arbeit im Haushalt nicht mehr fremd vergeben werden konnte, stellte die Familie fest, dass niemand etwas von der Dynamik echter Sauberkeit verstand. Keiner hatte die praktische Veranlagung oder das nötige Talent zum Putzen und auch an der Übung fehlte es merklich. Sie versuchten sich mühsam, aber begriffen sehr schnell und zum ersten Mal wirklich, wie hilflos sie waren, wenn die Dinge nicht mehr einfach so – zu ihren Gunsten – vom Himmel fielen.

Ein paar Jahre später wurden die Spannungen dann so groß, dass die Familie daran zerbrach. Der alte Schulfreund des Vaters meiner Großmutter arbeitete mittlerweile Tag und Nacht in der Werkstatt und schreinerte alles, was irgendwie ein paar Mark brachte. Zuletzt waren das meist Särge im Auftrag der örtlichen Gemeinde. Sie wurden gebraucht für „Menschen, die ohne Hinterbliebene waren“ und ganz einsam und alleine in ihrem Haus oder ihrer Wohnung verstarben. Gemessen an dem geringen Ertrag, den das Bauen dieser Holzkisten der letzten Ruhe ihm einbrachte, verwendete er zu viel Zeit darauf.

Als es mal wieder länger als vereinbart dauerte und man ihn daraufhin kontaktierte, gab er sich bedingt einsichtig und äußerte offiziell, er wolle es den Verstorbenen wenigstens einmal „schön machen“ und er wisse um „seine Verantwortung für den ewigen Frieden“. Außerdem habe er aktuell sehr viel zu tun. Was nicht stimmte. Innerlich trieb ihn allein die Angst und das Bewusstsein darum, dass ausbleibende Aufträge den offensichtlichen Leerlauf zeigen würden, den es ja gab, den er aber weder sich, noch seiner Familie und schon gar niemandem sonst eingestehen wollte.

Nachdem alle Rücklagen aufgebraucht waren und er sich längst keine Mitarbeiter oder gar eine Haushälterin mehr leisten konnte, wartete seine Frau eines Abends nicht mit dem Abendessen auf ihn, sondern war einfach weg. Zusammen mit den Kindern. Kein Zettel, keine Nachricht – nur der Tisch war gedeckt: mit einem einzelnen Teller und einem silbernen Löffel, auf dem ein fremder Name eingraviert war.

Als ihm die Dinge sehr schnell klar geworden waren, ging er, ohne gegessen zu haben, konsterniert zurück in die Werkstatt und begann die arbeiten für ein neues Bett, das ein Kunde erst heute für sein ungeborenes Kind in Auftrag gegeben hatte und das er „schnellstmöglich und mit sehr viel Liebe“ ausliefern wollte. Während der Arbeiten geriet er dann aber in einer – wie es im späteren Bericht hieß – „unkonzentrierten Sekunde“ durch eine „offensichtliche Unachtsamkeit“ in eines der laufenden Messer. Er war nicht sofort tot. Der Unfall verlief aber so unglücklich, dass auch schnell herbeieilende Hilfe ihm nichts mehr gebracht hätte. Er stöhnte sanft und lag zunehmend lebloser in seinem Blut. Niemand hörte ihn. Man fand ihn erst zwei Wochen später, als der Kunde sich „dann doch einmal“ nach dem „Stand der Dinge“ erkundigen wollte und niemanden antraf, außer die Leiche, die irgendwie glücklich aussah.

Man beerdigte den Verstorbenen in einem seiner letzten Särge. Eigentlich eine Fehlproduktion. Die Kiste war seinerzeit etwas zu klein gewesen. Er hatte sich um etwa eine Kopflänge vermessen. Dem ursprünglichen Empfänger fertigte er daraufhin eine Neue an. Für den Schulfreund des Vaters meiner Großmutter passte der Sarg. Nicht perfekt, aber: „Wenn man ein Kissen unterlegt oder ihn etwas zusammenfaltet, dann geht‘s“, so hatte es der Gehilfe des Bestatters sehr pragmatisch festgestellt. Er winkelte die starren Beine mit etwas Mühe an, bevor er den Deckel, der wirklich nur leicht auf den Knien auflag, mit wenigen Nägeln für immer verschloss.

Die Gemeinde kümmerte sich sodann und beinahe rührend um die baldige Beerdigung. Man veranstaltete – „zwar sehr kurzfristig“, wie man sagte – aber dennoch sehr spontan und gleich am selben Tag noch eine eigens anberaumte Messe. Es kamen sogar ein paar Trauergäste, die wenig überrascht vom Verlust wirkten. Man kümmerte sich seitens der Gemeinde auch sehr fürsorglich um die Hinterlassenschaften der Familie des Verstorbenen. Mehrfach versuchte man Frau und Kinder zwecks des Erbes zu erreichen. Aber sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Offiziell erklärte man sie für unauffindbar. Was sie auch blieben.

Die Schornsteine rauchten im Winter fast schon wieder wie früher. Der vaterlose Sohn des Kaplans konnte alsbald die schließlich an die Gemeinde überschriebene Werkstatt ganz einfach und sehr kurzfristig übernehmen. Er war sehr dankbar um die göttliche Fügung und den kurzen Dienstweg. Seine Bestimmung war das Handwerk zwar nicht, aber immerhin glaubte er nun, endlich einer wirklichen Tätigkeit nachgehen zu können. Er schaffte sich das Notwendigste drauf.

Wenig später stieg – laut der offiziellen Bücher – die Todesrate der einsamen Seelen in der Gemeinde sehr plötzlich, aber dauerhaft an. Die Ausgaben für Schreinerarbeiten vergrößerten sich entsprechend. Zur gleichen Zeit blieb die Zahl der Beerdigungen konstant und ging sogar, im wachsenden Wohlstand, leicht zurück. Aufgefallen ist das scheinbar bis heute nicht. Wie auch. Das Geld verschwand, mit Sarg oder ohne, die Bücher blieben ungeprüft und man vertraute einander – blind und bis in den Tod.

***

Fortsetzung: Kaffee, Arcaden im Sommer


an der Ampel
reihen sich Autos
Abgase > Gasmangel
die Komplexität, verstehe
wer oder sie will.

*umblättern*

Gerade das Heft durchnummeriert
besser gesagt: „paginiert“
16 Blatt, 32 Seiten (!)
Es war der Großmut,
der mir die Hoffnung gab
„hier mal eben ein paar Verse
bei Kaffee und Kuchen
über Gott (ggf. Menschen) und die Welt (Sg. vs. Pl.)
zu verfassen“.

*nächster Umbruch, noch kein Seitenwechsel*

Das Kind sieht die Zukunft
mit verschwommenen Augen
die Eltern wünschen den Wespen
noch immer Vernichtung
und sie lieben sich
in diesem Moment
Insektensterben
aus?

Kevin allein in Moskau

Meine Familie
hat mich verlassen
oder ich sie
das ist nicht ganz klar
ich sitze alleine
im Oligarchenpalast
und träume
vom Frieden
Pizza bestellen
würde ich gerne
Käsemaccheronie
wären ein Traum
tanzende Pappfiguren
vor einem Fenster in New York
die Verbrecher sitzen
alle an der Front
im Panzer
im Graben
sie frieren sich den Arsch ab
da drüben –
explodiert eine Mine
am Telefon gratulieren sich
Generäle vorab
zum Endsieg 2023
es wird etwas geschehen
die Patriarchen
messen ihren Ruhm
im Staub der Versprengten
ergeilen sich am Leid der Versehrten
die pure Langeweile
macht Lust auf Macht
die Orientierungslosigkeit
in der eitlen Aristokratie des Seins
sonst gibts halt nichts zu erleben
in der modernen Welt
und in der Zukunft
weint der alte Mann mit der Schaufel
ist längst depressiv, weil er
seinen Sohn
damit begraben hat
zwei Filme aus dem Archiv
das ist die Erinnerung
eine Taubenfrau
kein Happy End
bis der Schnee geschmolzen
das Eis getaut
und die feuchten Banditen
wieder auf freiem Fuß sind
die Hoffnung siegt über die Gewalt
der Frieden über das Jetzt
vermutlich
irgendwann
ganz sicher
irgendwann
und dann fallen wir uns in die Arme
und warten auf den Sonnenaufgang
irgendwann
auf der Datscha der Freiheit
irgendwann
dann…
es wird so sein
vielleicht bald
vielleicht später
irgendwann
ganz sicher
irgendwann.
– Friede den Hütten