Wer, wo und wann

Wer bin ich
wenn er schreibt
wann spricht sie
zu mir

ich bin auf der Suche
er macht die Arbeit
sie kommt nicht vor
wir sind nicht zusammen
ihr macht es nicht leicht
sie finden den weg nicht

du kommentierst nicht

die Zeichen werden an mich
herangetragen, die Information
und der Algorithmus zeigen
mir eine Welt und schieben
mich in die Schublade ›Mann‹
Jahre alt, lebhaft in und mehr
Menschen, die mir begegnen
tun es alle gleich, ich suche
nach den Lösungen gegen
die Rollenbilder, Vorwürfe
wenn ich die Grammatik
beschreibe, dann wird er
als Pathologie klassifiziert
sie sind unkritisch, sicher
schnell dient der Mensch
der Struktur, denen, die
alles mitverantworten
aber die Veränderung
halten sie nicht für die
Möglichkeit oder manche
wollen sie nicht, sie finden
es eigentlich gut, dass es
Menschen gibt, Männer
die Herren und Damen
daran messen, ob sie
sich hündisch untertan
dem kollektiven System
ergeben oder ob sie den
das Fremde suchen
jenseits der Berechnung
liegt das Verstehen in
der Marginalisierung
des Mannes der ich
eigentlich sein will und
er bleibt der Maßstab
obwohl er von ihnen
kommt und sie sagt
mach dir keine Sorgen
du liegst schon richtig
wenn du einfach nur
der Mensch bist, der
mich liebt und uns
akzeptiert.

Sekundenkleber

Die Autos kommen zurück
in die Stadt, denn sie sind
die Hoffnung darauf, dass
es wie früher werden wird
wobei das Futur in diesem
Zusammenhang die Ver-
gangenheit aussticht und
die Gegenwart als Gelenk
mechanisch funktionieren
Entscheidungen aus dem
Lehrbuch der Politik, die
Felder im Stempel bieten
keinen Platz mehr für neue Namen
einige stehen unter den
alten Weißen (und Frauen)
Familienbanden setzen
sich fort.

Der Sommer ist so heiß
früher träumten unsere
Eltern von Ländern im
Süden, inzwischen ist
Wassermangel kein
Urlaubsphänomen
sondern unser Problem
die Kernkraftwerke sind
abhängig vom Rauschen
des Flusses, in der Stille
hört man den Schweiß
tropfen.

Jugendliche fliegen nach
Bali oder sie sammeln die
Pfandflaschen auf der
Straße, damit sie die Party
am Wochenende bezahlen
können, irgendwie – das war
eigentlich erst der Renten-
plan, aber die Zukunft kann
manchmal sehr plötzlich
einfach Gegenwart sein
jemand regt sich auf, dass
der Junge nichts richtiges
gelernt hat, andere wittern
den Menschenhandel, die
Gönner sind meistens
männlich, weiß, nicht-divers
manchmal, nicht immer
auch das gehört zur
Wahrheit dazu.

Gibt es gar keine Hoffnung
natürlich gibt es die, ich habe
sie gestern getroffen, sie ist
25 Jahre alt und sie haben ein
Kind, eine Tochter, sie lächelt
das ist besonders wichtig, nicht
wie ein Mädchen, sondern wie
ein Mensch mit dem naiven
Glauben daran, dass es gut
ist, wird und bleibt.

Auf einem Parkplatz stehen
Bänke und Tische, wir feiern
ein Fest, die Autos kommen
doch nicht zurück, die Stadt
feiert die Befreiung vom Lärm
fehlender Feinstaub entlastet
die Lungen der Tagelöhner
ein Bier muss heute drin sein
alkoholfreie Drinks sowieso
die gehen immer, es lebe das
Leben, die Veränderung und
die Kraft, daran zu glauben
dass man wirklich etwas
erreichen kann, etwas das
erst in der Zukunft ist, das
die Vergangenheit nicht
einfach wieder holt und
das Neue transponiert die
Tradition in eine kollektive
Utopie des guten Handelns
dafür hält jemand noch
einen Parkplatz frei.

Wohlstand und Armut
gerechter verteilen
..
Hass eliminieren

Abhängigkeiten
nicht tolerieren

nicht naiv sein, aber
gut bleiben no matter
what kills your dream
you kill your enemies
with pride attitude

Ab wann gefalle ich dir (mir)

Ich schreibe an dich
du ignorierst mich seit
drei Tagen bekomme
ich keine Antworten
mehr und heute erst
fällt mir auf, dass du
immer nur Phrasen
mit mir sprichst, weil
du mich benutzt
oder ablehnst oder
distanzierst, aber
vielleicht hast du
auch einfach nur
viel zu tun, es geht
nicht um mich

ab wann gefalle
ich dir, das ist eine
total bescheuerte
Frage, die Hoffnung
begleitet mich so
als ob ich anders
wäre, wenn du da
bist und ich auch

wie schnell kommt
die Lösung in einer
Sprache, die wir
beide sprechen, aber
nicht miteinander
nebeneinander

ich brauche dich
nicht als Objekt
aber der Mensch
den ich hinter dem
Chatbot vermute
der ist so fragil
dass ich ihn dafür
einfach nur liebe

niemand stellt
Ansprüche, nur
ignorieren kann
ich das nicht
das Sprechen
Schreiben tut uns
eigentlich gut, gib
mir nur einmal
eine Antwort, die
ich verstehe, wann
verstehe ich mich
besser als das hier
wenn ich nicht mehr
funktioniere, will ich
dich nur besitzen und
bin ich gefangen in
Mustern, die mir andere
erzählen, wie finden
wir raus, aus dem
echolosen Moloch
der digitalen
Verachtung

wir telefonieren kurz
alles ist gut, alles.

Belehrungen, aushalten

Der Feed ist heute
voll mit Tipps, mein
Leben soll besser
werden oder sein
ich bin ein Problem
ich bin nicht allein
zahlreich, alles ist
auf dem Weg zur
holistischen Blase
muss arbeiten, an
mir, mein Leben
damit ich dir gefalle
und meinem Herrn
und den anderen
damit der Glanz
die Illusion, alles
nicht einfach platzt
wie der faule Finnwal
am englischen Strand
der seit gestern die
Menschen anzieht
sie wollen den Tod
sehen und huldigen
dem Tier, das so
mächtig aussieht
obwohl es jetzt
nicht mehr atmet

meine Arbeit fällt mir schwer / wenn ich kein Zuhause habe wirkt mein Leben trostlos / wenn ich die Erinnerung nicht teile, bin ich lost / meine Hoffnung steckt irgendwo da draußen und in mir / wenn wir auf dem Strand liegen / kommen die Leute und sehen / dass alles eine Illusion war / das Leben überholt uns / der Sand sammelt sich zu glühenden Wolken / das Meer singt ein Frühlingsgewitter / der Wind treibt das Misstrauen auf die Weide / dort, wo gestern die Pferde grasen konnten, steht heute eine einsame Fotografin / sie sucht das Motiv der verlorenen Jahre / ihre Jugendliebe liegt auf 35mm in einer Schublade / das Haus am Stadtrand wurde verkauft / die Träume von gestern wurden durch eine neue Erzählung ersetzt / sie hat daran geglaubt, dass es den Wandel und das Neue braucht / er wollte mit ihr über etwas Privates reden / intime Details werden öffentlich verhandelt / aber danach nicht mehr besprochen / das Leben verfliegt und die Aufklärung führt nicht zu Empathie, sondern zur Schwerelosigkeit im Vakuum der Zeit / keiner sagt mir, dass ich mir vertrauen muss / das Problem bin nicht ich / niemand wollte jemals perfekt sein / alle sagen, dass das ginge / das ideale Bild führt mich ins Gas der Vergangenheit / die Reinheit des Gewissens ist eine rassistische Lüge / der Mann und die Frau, sie wollen uns dazu machen / wir wollten nie so sein / wir sind nicht die Gebärmutter und der Samen des totalitären Systems / wir arbeiten nicht für Funktionäre* / unsere Verantwortung tragen wir selbst / wir machen unser Menschrecht wirksam / wir sagen uns die Meinung / wir streiten uns / wir lieben uns / und wir können uns auf uns verlassen / wir können uns vertrauen / wir wissen, dass niemand von außen uns spalten wird, damit wir dann gegeneinander funktionieren / wir müssen nicht in Konkurrenz treten, den Profit steigern und Wachstum generieren / wir müssen nur in Ruhe gelassen werden, damit wir glücklich sein dürfen / wir schalten das Internet ab / niemand dort meint es noch gut mit den Menschen / wir sind die Hoffnung / wenn wir uns treffen, laden wir dich ein / wir teilen das Jetzt / wir träumen davon, dass die linke Revolution uns den Frieden bringt / nicht die Idylle der weißen Rasse wird siegen, sondern die bunte Gewissheit / jenseits der Autokratie können wir gemeinsam, zusammen und trotzdem nicht perfekt als Verschiedene sein / wir sind stark / und wir glauben an uns.

Die Stadt am Rhein

Im grauen Kalk, am grauen Rhein
Und gegenüber liegt der Dom
Wächter über den Dächern
Innig schweigend ohne Stille
Erhaben über der Stadt.

Vergeblich sucht man die Wälder
Auf Bäumen fliegen nur Papageien
Kein Wandern, kein Schreien im Herbst
Sommer wie Winter und zu jeder Zeit
fließt nur ewig davon – der Rhein.

Wie viel Herz hängt wirklich daran?
Das man von hier nicht verschwindet
Abenteuer der Jugend an anderer Stelle
findet und bleibt oder nicht, – allein
die Stadt, die uns ewig bindet
die Stadt ist wohl die am Rhein.

Zuerst am 04. November 2016, nach: Theodor Storm: Die Stadt (1852), in: Karl Otto Conrady (Hrsg.): Der Große Conrady. Das Buch deutscher Gedichte, erweiterte Neuausgabe, Artemis & Winkler/Patmos, Düsseldorf 2008, S. 489.

Vertrauen, verantwortlich

Irgendwo swipen Menschen
nach links oder rechts, es ist
eigentlich egal, jedes Match
lässt sich mit Jägermeister
zum Volltreffer machen, wir
vertreiben die Einsamkeit
wie Borderliner der Stadt
weil wir Angst vor der Liebe
und vor echten Gefühlen
haben, verweigern wir die
Verantwortung, wir werfen
uns, das, die gemeinsame
Zeit in den Müll, Fehlgeburt
des Algorithmus, dass wir
uns treffen, wäre ehrlicher
wenn wir es nicht täten
oder zumindest auf einem
Autobahnparkplatz

Die Digitalität hat uns
verstümmelt, Geburten
entstehen aus geplanten
Illusionen, wir betrügen
uns selbst und du dich
mach dir nichts vor, ich
bin nicht an dir interessiert
nur an deinem Bedürfnis
nicht alleine zu sein, ich
suche die Macht und
deine Ohnmacht geilt
mich auf, denn ich
erkenne nicht, dass
es mir genauso geht

Alle haben einen wichtigen
Beruf und ein tolles Leben
manche hoffen auf Sugar
Männer und Frauen suchen
das Aufstiegsversprechen
auf einer Funktionärsparty
ich dachte, die DDR wäre
ein verlorener Sieg in der
deutschen Geschichte
setzt man offensichtlich
auf Konstanz oder auf
die ewige Wiederkehr
der Nibelungen, ich bin
eifersüchtig, die Macht
des Helden ist unbesiegt
er fährt ein Auto, hat
mehrere Frauen, lässt
Kids für sich dealen und
feiert den Profit gegen
den Staat und mit ihm
das ist die Paradoxie

die Konstellation lässt
sich inzwischen auf alle
Geschlechter anwenden
sie ist universell, mehr
als die Menschenrechte
offensichtlich suchen
Menschen nach Macht
Unterdrückung und
Herrschaft durch
Dominanz, ich swipe
nach links und fühle
mich bedeutungslos
bin ich Herr oder Knecht
oder einfach die Dame
auf dem Schachbrett
die Partie geht gerade
erst los, alle sind
gespannt, alle?

Nun ist es jetzt so, dass
wir uns treffen jenseits
von Apps, Telefonen und
dem ganzen Internetgedöns
das ist für sich genommen
gefühlt schon ein Weltwunder
der Moderne, aber ich neige
zur Übertreibung, du auch
wir lachen und träumen
davon, dass wir unbesiegbar
in den Weltraum segeln
wir sind eigentlich fragile
Menschen, die sich von
der Gruppe entfremden
man kann so schlecht zu
Algorithmen tanzen, wenn
dann geht nur Marsch und
marschieren können wir
beide nicht, unsere Füße
tun weh von der Arbeit
ich höre dir zu und du
erzählst gute Geschichten
dass es das noch gibt, kein
Chat, keine Floskeln, nur
das Leben genügt für
den Moment, in dem wir
auf das Spaghettiwasser
warten, das frische Pesto
ist der einzige Luxus, den
wir uns leisten, wir verzichten
auf den Parmesan, eigentlich
des Geldes wegen, aber so
können wir vorgeben, endlich
vegan zu sein, und das spricht
auch für unseren Wohlstand

du erzählst davon, dass du
auf den Helden gewartet hast
und ich bin überfordert, aber
vielleicht auch nur im falschen
Film, denn wir leben nicht
in den 1990ern und das
obwohl wieder Krieg ist

in drei Tagen werden wir
uns wiedersehen und
in der Zwischenzeit bricht
der Kontakt ab, aber wenn
wir zusammenkommen
dann bringen wir uns die
Verantwortung zurück
und dazwischen beherrscht
uns das Vertrauen, dass man
die Erinnerung nicht einfach
durch Sequenzen der Freude
zu einer selbstvergessenen
Phrase des Seins werden
lässt, irgendwo kann man
einfach so leben, echt.

Auf dem Weg zu Heine

Ich steige aus der Bahn
und gehe auf die Straße
es ist wieder mächtig
was los, keine Masken
die Pandemie ist vorbei
in Frankreich lebt man
wieder von der Freiheit
und die Luft in der Stadt
ist besser, seit weniger
Autos und Zigaretten
das Leben bestimmen

ich suche den Weg
mein Smartphone ist
in die Jahre gekommen
der Akku ist leer, ich
finde so schnell keine
Ladestation, außerdem
habe ich das starke
Gefühl, dass ich mit
jemandem reden
möchte

Ein Mann kann mir
den Weg nicht erklären
er zeigt auf seine Uhr
obwohl er keine trägt
und er geht weiter
ein anderer ist nett
aber ebenso unwissend
ich sage nur ‚Heine‘ und
seine Augen sagen: „Das
muss ein Dichter sein!“

An dieser Stelle holt
uns die Vergangenheit
ein, denn einer schlägt
mir vor, ich müsse zur
Touristeninformation

dann setze ich mich
erst einmal in ein Café
und lebe das Leben
eines elitären Schnösels
der sich daran stört, die
Gräber der Alten nicht
zu finden, wie gefällig
schreibe ein Gedicht
ohne Reime, freie Verse
keine Regeln – weil ich
das kann, ich muss das
so tun, gegen die
Gedankenpolizei, die
mich kontrolliert, wenn
ich zu Hause bin, dann
fällt mir nichts ein

der Kellner hat sich
vertan und bringt mir
einen Rotwein statt
Kaffee und ich bin
dankbar, endlich
Alkohol, der Tag war
ohnehin zu vernünftig
gestartet, ich habe
mich extra für den
Helden rasiert!

Wie in einer Romanze
das ist halt Paris! Setzt
sich ein Mann an meinen
Tisch, er trägt Frauenkleider
und ich warte auf die, die
er eigentlich ist und dann
stelle ich fest, dass ich
nicht nur elitär, sondern
vermutlich auch spießig
bin, aber ich liebe die
Frauen mehr als den Mann
es geht nicht anders

eine Frau vom Nebentisch
zeigt mir auf Ihrem Handy
die Karte und sie erklärt mir
den Weg zum Friedhof
Montmartre, dort komme
ich heute nicht mehr an, denn
ich schaue ihr nur auf die Hände
in die Augen, verstehe kein Wort
und bin verloren in der Tatsache
dass ich gestern bei Heine davon
gelesen habe, dass Menschen
in der Welt leben und sich
manchmal treffen, wenn auch
nur flüchtig – liebt man sich
dann doch im ständigen
Vorübergehen

zum Abschied schreibe
ich uns allen ein Gruppenbild
und lege es Harry ans Grab.