Ja, ich will (ohne Geld)

Ich will einfach nur ein Gedicht sein
ich will nicht geteilt werden
ich will nicht vorgelesen werden
ich will nicht gezeigt werden
ich will nicht sprechen müssen
ich will nicht verkauft werden
ich will nicht zum Video werden
ich will auch kein Audio sein
ich will einfach nur ein Gedicht sein
und von dir gelesen werden
damit wir uns treffen und
kurz sagen, dass da was ist
was gut ist.

Autorenkonflikte

Hin und wieder
fragt sich einer
ob sie ein Er ist
und der Autor
durchschaut
die Figurenkonstellation
das Beziehungssystem
den Zusammenhang
der Sprache (sic!)
plötzlich nicht mehr
alles fließt, möchte
man singen, Wolfgang!
der Telefonjoker weiß
nicht, dass er einer ist
aber sie geht trotzdem
an das Telefon und sagt
dass der Vater nicht
mehr nach Hause
kommt, kommen wird
das ist die Realität und
die Mutter weint

ein Autor sucht die Bedeutung
er könnte auch eine Frau sein
dann würden die Überschneidungen
bei Menschen, die den Menschen kennen
im Kopf nicht so krass sein, aber es
wären andere da, denn wenn einer
über das Geschlecht schreibt, dann ist
die Suche nach dem binären Subjekt
nicht längst schon vergessen

wir wollten uns damals treffen
du hast mich vergessen
ich bin nicht sauer, aber du
bist offensichtlich eine Niete
gewesen. Heute hast du eine
Führungsposition – danke
an die Stiftung und den
Apparat

der Mann ist eitel
der Autor ist es auch
der Mensch ist es auch
alle zusammen sind
überfordert mit dem
was man von ›ihm‹ verlangt
auch das ist Emanzipation.

Hin und wieder

Frage mich
sind wir schon totalitär
nicht als Staat, aber
als Gesellschaft und
die globalen Systeme
jenseits der Politik
werde ich fremd
-bestimmt jeden
verdammten Tag
schaue ich aus
meinem Fenster
und suche Christa W.

Ich habe eine Frage
an dich, wenn du
möchtest, dann
findest du meine
Nummer im
Telefonbuch!

Der arme Dietmar

Es stand eine alleine da
stolz und bedacht im Park
sie bewachte ihre Liebe
und schaute wie sich
wirre Dates mit Alkohol, Koks und Trips für
3 Stunden ›liebten‹ (algorithmische Taktung)

Ein Raubvogel fällt tot
auf ein fahrendes Auto
es gibt einen Unfall und
die Fahrerin fährt gegen
einen Baum, an dem sie
gestern noch wilde Liebe
und ein Herz für die
Ewigkeit in die Rinde
geritzt hatten (Romantiker!)
die Feuerwehr fällt den Baum
der Unfall ist krass, keine Wahl

Die Frau sucht noch immer
einen echten Mann oder
eine Frau oder umgekehrt
vermutlich sucht ein Mensch
schlichtweg einen Menschen

einer fühlt wie sie
eine fühlt wie er
eines fühlt wie es
alle fühlen etwas, nur
halt nicht alle, sondern
zwei – echt jetzt? Ja.

Einer streift den Pfad
sie sieht ihm hinterher
er sieht sie an, sie fragt
willst du mich nur haben
oder sollen wir einfach
zusammen sein – und
er weiß keine Antwort
zückt die Scheine, der
Benzerschlüssel klackert
um den Hals, der Cashflow
macht ihn geil, sie beide?

Linke Herzen treffen sich
in der Bahn und fahren
quer durch Deutschland
ein Minnesänger schreibt
ein Lied und wird versetzt.

Benzer brettern über
das Herz des toten
Dichters, niemand
ist gestorben.

Lost, kurz und weiter

Komme von der Arbeit
heute war’s krass
viel zu tun, pressure
Chef ist Katastrophe
übergriffig, mächtig
liebt die Kinder, alle
lieben sein Geld
vor dem Haus, dort
steht die dicke Karre
die heult laut auf
und wartet auf mich
ich finde das scheiße
gehe trotzdem, weiß
was mich erwartet
habe eine Hoffnung
trotzdem, passt
nichts zusammen

aus dem Haus kommt
ein junger Mann, nicht
mehr ganz so jung
er trägt eine Tüte
der Aufdruck zeigt
den Namen eines
Supermarktes, dort
ist weniger super
als man so denkt
man bringt Leergut
der Kunde ist lost
im Universum, sucht
er
das Menschrecht

am Kreisel fahren
Autos in die falsche
Richtung, es knallt
Blaulicht und weiter

die Hoffnung stirbt
zuletzt
und dann gehts weiter
das Glück, das Meer
und der ganze Kitsch

das Herz schlägt
geradeaus
Richtung ›Amerika‹
oder Freiheit

wir sind der blinde Fleck
auf Google Maps.

Ein Kaffee, Arcaden – Nachwort

Die Textteile, die auf der Website clementines.world zwischen dem 9. Dezember 2022 und dem 18. Juni 2023 unter dem Schlagwort Ein Kaffee, Arcaden veröffentlicht worden sind, wurden ursprünglich am 2. August 2022 in einem DIN-A5-Heft in Echtzeit in einem Café und in meiner Küche geschrieben. Das Experiment wurde im Anschluss an einen Einkauf in den Arcaden in Köln-Kalk begonnen. Bei der Abschrift wurden redaktionelle Eingriffe vermieden. An einigen Stellen waren Ergänzungen, die Umschrift oder die Anpassung von Zeilenumbrüchen notwendig oder sie wurden nachträglich für sinnvoll erachtet.

Dadurch, dass diese Sprache unter einem hohen Zeitdruck entstanden ist, bleiben die Aussagen stark fragmentarisch und sie stehen teilweise für sich. Gleichzeitig ist die Anlage der Aussagerealität von dem Übergang der äußeren Wahrnehmung ins Innere der Sprache und zurück auf das Papier geprägt. Im Rückblick fällt auf, dass an manchen Stellen stark mit Phrasen, Worthülsen oder mit stereotypen Redewendungen gearbeitet wird. Der Prozess des „Freischreibens von kultureller Konvention“ wird begleitet von einer selbstreferentiellen Reaktion, die dialogisch innerhalb des Textes agiert. Der dokumentarische Charakter des Textes wird dadurch gleichzeitig bestätigt und in Zweifel gezogen.

Die letzten drei Seiten…

…müssen noch ein Highlight bringen

> Wohnung teuer
> Heizen muss man nicht
> kalte Dusche > härtet ab
> Krieg > löst das Rentenproblem

Kurzer Blick auf die Uhr
überlege, ob ich die Solo-Party
noch verlängere, so wie früher!

Melancholie
in Gedanken ist so viel bei mir
der Kioskbesitzer sieht die Realität
und denkt/denkt er nicht (?): Der Typ ist dekadent!

Schlafstörung überwunden

Scheiß auf den Erwartungshorizont
ich erwarte nur dich, mich und uns
> kein Druck
>> keine Relevanz
>> kein Instagram
>> einfach Leben als Verkäufer:in bei DM und ich auch oder Kunst
> das Ich ist so stark in diesen Jahren
>> Beschluss: Suche das Du

Habe noch 7 Minuten und
1 Seite, um die Echokammer
zu sprengen.

Überlege mir Fragen, will ‚unique‘
sein, aber muss ich das?
> Meine Schizophrenie ist die Gesellschaft.
> Morgen frage ich einfach: Wie geht’s – ohne Erwartung.

Man muss nur man selber sein (frei nach Eko Fresh)
aber wer macht das schon?

Ich suche die Sprache, sehe die
Menschen und liebe die Stunde
in der sie alle bei mir sind.

Alle, heute, jetzt.

am 2. August 2022, Ende um 23:56 Uhr