Meine Großmutter liebte meinen Großvater sehr. Sie beide hatten ihre Neurosen. Das zeigte sich im Telefon. Er überwand sich, damit sie sich weniger überwinden musste. Und sie verstand das. Das verband die beiden. Wenn es darüber hinaus Dinge zu klären gab, dann sprachen sie miteinander. Für die Großstadt hatten beide nicht viel übrig. Der Verkehr war ihnen gemeinsam suspekt geblieben. Einen Führerschein besaßen beide nicht. Sie gingen zu Fuß, fuhren mit dem Rad oder gar nicht. Zu uns kamen sie mit der Bahn, – das war aber eine seltene Ausnahme und vor meiner Zeit. Später kam nur noch meine Großmutter.
Wenn wir sie am Hauptbahnhof abholten, verließ sie den Waggon gegen die Fahrtrichtung und suchte schnellstmöglich den nächstgelegenen Treppenabgang. Unter vielen Menschen wurde sie unruhig. Das mochte sie nicht, weil sie sich immer sehr im Griff hatte und sie wusste, dass man es ihr ansah, wenn sie die Kontrolle über sich unter anderen verlor. Daher trafen wir sie erst etwas abseits der Stimmen auf dem Bahnhofsvorplatz. Dort verlief sich der Strom in verschiedene Richtungen und sie wurde ruhiger. Wir warteten in der immer gleichen, abgelegenen Ecke, das war die Vereinbarung, die wir stillschweigend nie trafen. Und wenn sie dann jedes Mal sehr bestimmt durch die Glastüren ging und auf uns zukam, griff sie sehr schnell und so bald als möglich nach meiner Hand wie nach der eines geheimen, vertrauten und lange vermissten Menschen.
Trotz ihrer Selbstbeherrschung sah ich in ihr immer das ganze Zittern der starken Empfindung und fühlte, wie sie in mich hineinsprach, wenn sie mich fragte, wie es mir geht. Sie suchte die Nähe, die sie manchmal nur dachte, und sie blieb in der Stadt eine Fremde. Sie sah durch mich die Enge, die sie betraf, und sie vergaß dabei, dass ich hier aufgewachsen und nie weggekommen war. In mir war all das ganz natürlich, gegen das sie so hart war, dass sich das Blut manchmal staute.