Kommunikation und Verkehr

Meine Großmutter liebte meinen Großvater sehr. Sie beide hatten ihre Neurosen. Das zeigte sich im Telefon. Er überwand sich, damit sie sich weniger überwinden musste. Und sie verstand das. Das verband die beiden. Wenn es darüber hinaus Dinge zu klären gab, dann sprachen sie miteinander. Für die Großstadt hatten beide nicht viel übrig. Der Verkehr war ihnen gemeinsam suspekt geblieben. Einen Führerschein besaßen beide nicht. Sie gingen zu Fuß, fuhren mit dem Rad oder gar nicht. Zu uns kamen sie mit der Bahn, – das war aber eine seltene Ausnahme und vor meiner Zeit. Später kam nur noch meine Großmutter.

Wenn wir sie am Hauptbahnhof abholten, verließ sie den Waggon gegen die Fahrtrichtung und suchte schnellstmöglich den nächstgelegenen Treppenabgang. Unter vielen Menschen wurde sie unruhig. Das mochte sie nicht, weil sie sich immer sehr im Griff hatte und sie wusste, dass man es ihr ansah, wenn sie die Kontrolle über sich unter anderen verlor. Daher trafen wir sie erst etwas abseits der Stimmen auf dem Bahnhofsvorplatz. Dort verlief sich der Strom in verschiedene Richtungen und sie wurde ruhiger. Wir warteten in der immer gleichen, abgelegenen Ecke, das war die Vereinbarung, die wir stillschweigend nie trafen. Und wenn sie dann jedes Mal sehr bestimmt durch die Glastüren ging und auf uns zukam, griff sie sehr schnell und so bald als möglich nach meiner Hand wie nach der eines geheimen, vertrauten und lange vermissten Menschen.

Trotz ihrer Selbstbeherrschung sah ich in ihr immer das ganze Zittern der starken Empfindung und fühlte, wie sie in mich hineinsprach, wenn sie mich fragte, wie es mir geht. Sie suchte die Nähe, die sie manchmal nur dachte, und sie blieb in der Stadt eine Fremde. Sie sah durch mich die Enge, die sie betraf, und sie vergaß dabei, dass ich hier aufgewachsen und nie weggekommen war. In mir war all das ganz natürlich, gegen das sie so hart war, dass sich das Blut manchmal staute.

Kommunikationsneurosen der Großeltern

Nur eine Sache kam in Verbindung meines Großvaters gelegentlich zur Sprache, wenn bei einer Geburtstagsfeier das Telefon klingelte. Auf den technischen Ausbau der Kommunikationswege und die neue räumliche Erschließung hatte er wohl – positiv gesprochen – sehr zurückhaltend reagiert. Er habe es damals als Ende der persönlichen Freiheit ausgerufen, ein eigenes Telefon im privaten Haus zu besitzen. Lange hatte er es gegen jeden gesellschaftlichen Druck geschafft, sich einer solchen „Apparatur des Terrors“ nicht zu unterwerfen. Als man ihm dann, in Absprache mit meiner Großmutter, zum Geburtstag „sehr spontan“ doch eines schenkte und es zum vollständigen Gelingen der Überraschung gleich angeschlossen hatte, empfand er diesen gut gemeinten Akt der Zwischenmenschlichkeit zwar als etwas übergriffig, er konnte und wollte sich in seiner netten Art letztlich aber auch nicht dagegen wehren. Er verstand das Geschenk als durchaus gut und ernst gemeinte und sehr ehrliche Aufmerksamkeit seiner Freunde. Und schließlich hatte seine Frau in letzter Zeit schon häufiger den Wunsch geäußert, sich durch das Gerät einige Reisen in die Stadt sparen zu können.

Das verstand mein Großvater nur zu gut. Zudem konnte er seine innere Unsicherheit nicht weiter verleugnen, denn auch er zweifelte längst an seinem Vorurteil gegen den Fortschritt und er hatte die nicht nur im beruflichen Alltag wirksamen Vorzüge der neuen Technik bei einigen Freunden und Bekannten mittlerweile auch durchaus selbst zu schätzen gelernt. Aus einem inneren Bedürfnis nach Ruhe, Sicherheit und aus Angst vor möglicher Überwachung zog er den Stecker am Gerät dennoch bis auf eine Stunde am Tag. Die „Stunde der Erreichbarkeit“, wie er es nannte, wechselte er zufällig ab und man musste wirklich Glück haben, ihn oder meine Großmutter an den Apparat zu bekommen. Das machte es für Außenstehende schwer. Für Involvierte galt es, sich damit zu arrangieren oder dazu zu verhalten. Wenn wir sie besuchten, fuhren wir deshalb einfach hin. Bemerkenswerterweise überforderte sie der spontane Besuch kein einziges Mal. Jedes Mal, wenn wir durch ihre stets offene Haustür in die Diele traten, schlug die Überraschung sogleich in große Freude um.

Rückzug und Neuanfang

Gleichwohl hatte der Umzug als Rückzug und Neuanfang in gewohntem Gelände auch einen positiven Grund. Es war in dieser turbulenten Zeit zu einem Aufeinandertreffen gekommen, das sich als nachhaltig erwiesen hatte. An einem Freitag lernte sie beim Tauschen meinen Großvater kennen. Er war ein einfacher Mann gewesen, aufrichtig, treu und liebenswert. Sie trafen sich ein paar Mal, aber so kitschig es klingt: Beide wussten sofort Bescheid und vertrauten sich einander, dass es darum gehen würde, worüber man nicht sprach und was nun einfach passierte.

Vielleicht wäre mein Großvater  weiterer Rede wert, allerdings trafen wir uns nie persönlich. In Gesellschaft erzählten sie selten und wenig über ihn. Weder mein Vater, seine Mutter noch irgendwelche anderen Verwandten machten ihn zum Helden ihrer Anekdoten. Fotos gab es nur wenige. Ich erinnere genau genommen nur eins, auf dem er  einen sympathischen Eindruck gemacht hatte. Besonders fotogen erschien er  nicht zu sein. Zurückhaltend, schüchtern und ein „stattlicher Bursche“ mit dem man Pferde hätte stehlen, aber nicht darauf wegreiten können.

Episode zur Christlichkeit

– Als Randnotiz sei bemerkt: Das passierte dann doch. Mittlerweile war alles wieder sehr gut organisiert. Es gab mehr als genug Holz und zu viele gute Werkstätten. Als die Aufträge eine Zeit lang ausblieben und die Arbeit im Haushalt nicht mehr fremd vergeben werden konnte, stellte die Familie fest, dass niemand etwas von der Dynamik echter Sauberkeit verstand. Keiner hatte die praktische Veranlagung oder das nötige Talent zum Putzen und auch an der Übung fehlte es merklich. Sie versuchten sich mühsam, aber begriffen sehr schnell und zum ersten Mal wirklich, wie hilflos sie waren, wenn die Dinge nicht mehr einfach so – zu ihren Gunsten – vom Himmel fielen.

Ein paar Jahre später wurden die Spannungen dann so groß, dass die Familie daran zerbrach. Der alte Schulfreund des Vaters meiner Großmutter arbeitete mittlerweile Tag und Nacht in der Werkstatt und schreinerte alles, was irgendwie ein paar Mark brachte. Zuletzt waren das meist Särge im Auftrag der örtlichen Gemeinde. Sie wurden gebraucht für „Menschen, die ohne Hinterbliebene waren“ und ganz einsam und alleine in ihrem Haus oder ihrer Wohnung verstarben. Gemessen an dem geringen Ertrag, den das Bauen dieser Holzkisten der letzten Ruhe ihm einbrachte, verwendete er zu viel Zeit darauf.

Als es mal wieder länger als vereinbart dauerte und man ihn daraufhin kontaktierte, gab er sich bedingt einsichtig und äußerte offiziell, er wolle es den Verstorbenen wenigstens einmal „schön machen“ und er wisse um „seine Verantwortung für den ewigen Frieden“. Außerdem habe er aktuell sehr viel zu tun. Was nicht stimmte. Innerlich trieb ihn allein die Angst und das Bewusstsein darum, dass ausbleibende Aufträge den offensichtlichen Leerlauf zeigen würden, den es ja gab, den er aber weder sich, noch seiner Familie und schon gar niemandem sonst eingestehen wollte.

Nachdem alle Rücklagen aufgebraucht waren und er sich längst keine Mitarbeiter oder gar eine Haushälterin mehr leisten konnte, wartete seine Frau eines Abends nicht mit dem Abendessen auf ihn, sondern war einfach weg. Zusammen mit den Kindern. Kein Zettel, keine Nachricht – nur der Tisch war gedeckt: mit einem einzelnen Teller und einem silbernen Löffel, auf dem ein fremder Name eingraviert war.

Als ihm die Dinge sehr schnell klar geworden waren, ging er, ohne gegessen zu haben, konsterniert zurück in die Werkstatt und begann die arbeiten für ein neues Bett, das ein Kunde erst heute für sein ungeborenes Kind in Auftrag gegeben hatte und das er „schnellstmöglich und mit sehr viel Liebe“ ausliefern wollte. Während der Arbeiten geriet er dann aber in einer – wie es im späteren Bericht hieß – „unkonzentrierten Sekunde“ durch eine „offensichtliche Unachtsamkeit“ in eines der laufenden Messer. Er war nicht sofort tot. Der Unfall verlief aber so unglücklich, dass auch schnell herbeieilende Hilfe ihm nichts mehr gebracht hätte. Er stöhnte sanft und lag zunehmend lebloser in seinem Blut. Niemand hörte ihn. Man fand ihn erst zwei Wochen später, als der Kunde sich „dann doch einmal“ nach dem „Stand der Dinge“ erkundigen wollte und niemanden antraf, außer die Leiche, die irgendwie glücklich aussah.

Man beerdigte den Verstorbenen in einem seiner letzten Särge. Eigentlich eine Fehlproduktion. Die Kiste war seinerzeit etwas zu klein gewesen. Er hatte sich um etwa eine Kopflänge vermessen. Dem ursprünglichen Empfänger fertigte er daraufhin eine Neue an. Für den Schulfreund des Vaters meiner Großmutter passte der Sarg. Nicht perfekt, aber: „Wenn man ein Kissen unterlegt oder ihn etwas zusammenfaltet, dann geht‘s“, so hatte es der Gehilfe des Bestatters sehr pragmatisch festgestellt. Er winkelte die starren Beine mit etwas Mühe an, bevor er den Deckel, der wirklich nur leicht auf den Knien auflag, mit wenigen Nägeln für immer verschloss.

Die Gemeinde kümmerte sich sodann und beinahe rührend um die baldige Beerdigung. Man veranstaltete – „zwar sehr kurzfristig“, wie man sagte – aber dennoch sehr spontan und gleich am selben Tag noch eine eigens anberaumte Messe. Es kamen sogar ein paar Trauergäste, die wenig überrascht vom Verlust wirkten. Man kümmerte sich seitens der Gemeinde auch sehr fürsorglich um die Hinterlassenschaften der Familie des Verstorbenen. Mehrfach versuchte man Frau und Kinder zwecks des Erbes zu erreichen. Aber sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Offiziell erklärte man sie für unauffindbar. Was sie auch blieben.

Die Schornsteine rauchten im Winter fast schon wieder wie früher. Der vaterlose Sohn des Kaplans konnte alsbald die schließlich an die Gemeinde überschriebene Werkstatt ganz einfach und sehr kurzfristig übernehmen. Er war sehr dankbar um die göttliche Fügung und den kurzen Dienstweg. Seine Bestimmung war das Handwerk zwar nicht, aber immerhin glaubte er nun, endlich einer wirklichen Tätigkeit nachgehen zu können. Er schaffte sich das Notwendigste drauf.

Wenig später stieg – laut der offiziellen Bücher – die Todesrate der einsamen Seelen in der Gemeinde sehr plötzlich, aber dauerhaft an. Die Ausgaben für Schreinerarbeiten vergrößerten sich entsprechend. Zur gleichen Zeit blieb die Zahl der Beerdigungen konstant und ging sogar, im wachsenden Wohlstand, leicht zurück. Aufgefallen ist das scheinbar bis heute nicht. Wie auch. Das Geld verschwand, mit Sarg oder ohne, die Bücher blieben ungeprüft und man vertraute einander – blind und bis in den Tod.

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Vom Anfang und Aufbruch

Sie hatte fünf Jahre in der Stadt gewohnt. Aber das war kurz nach dem Krieg, als der Verkehr noch mehr oder weniger brach lag und es andere Probleme gab. Alles begann sich nur sehr langsam zu ordnen und es gab noch Pfade ohne Namen. Hin und wieder machte man ein Geschäft auf der Straße. Geld spielte nicht die wichtigste Rolle. Man schlug sich irgendwie durch. Ihr Elternhaus lag draußen vor der Stadt und nach einem entweder unerklärlich unpräzisen oder aber sehr gezielten Bombentreffer nun in Schutt und Asche. Familie hatte sie seitdem keine mehr. Sie fand Zuflucht und eine Anstellung als Haushälterin bei einem alten Schulfreund ihres Vaters, der als Schreiner mitten in der Stadt wiederum Glück gehabt hatte, dass er und seine Werkstatt in dem ganzen Trubel völlig unbeschadet geblieben waren.

Zum Neubeginn entwickelte sich die wirtschaftliche Lage für ihn und seine Familie hervorragend. Handwerk war jetzt sehr gefragt. Es gab mehr Aufträge als Holz. Und er schlug überall dort auf, wo ein Schreiner gebraucht wurde. Er schlug auch dort auf, wo keiner gebraucht wurde, aber praktische Veranlagung vonnöten war. Natürlich nur, wenn es noch etwas zu holen gab. Das war längst nicht überall der Fall. Aber seine Dienste sprachen sich in entsprechenden Kreisen schnell herum. Nicht selten stand gleich morgens früh wieder einer vor der Tür des Hauses oder meldete sich in der Werkstatt, weil hier wie dort noch dies oder das zu erledigen sei und man könne sich dafür wirklich niemand besseren vorstellen als… Kurz gesagt: Die Nachfrage nahm gewisse Ausmaße an. Tendenz steigend. Täglich. Woche für Woche. Fast möchte man meinen: stündlich. Wenn er nicht persönlich kam, schickte er seine Leute. Letzteres wurde zur Regel. Mittlerweile hatte er eine gute Handvoll Hilfsarbeiter bei sich im Betrieb angestellt. Die meisten von ihnen waren zwar aus dem Krieg oder der Gefangenschaft zurück, aber längst noch nicht wieder zu Hause angekommen. Eigentlich kam niemand mehr dort an. Das wusste man damals aber noch nicht. Oder man war nicht ehrlich zu sich, seiner Situation und der Welt, in der man lebte. Vielleicht konnte man nicht anders. Man hatte ja zu dieser Zeit zumindest noch Hoffnung. Sie arbeiteten dafür und für ihn außer Haus und in seiner Werkstatt, wo sie auch schliefen und lebten, wenn sie nicht arbeiteten; was selten der Fall war.

Auch meine Großmutter konnte dort arbeiten, leben und wohnen. In anderer Funktion natürlich. Sie schlief nicht in der Werkstatt, sondern im Haus und kümmerte sich um den Einkauf und die Kinder. Ihr Ort war der Haushalt. Ihre Rolle klar definiert. Dafür wurde sie bezahlt. Sie kochte und putzte in einer Perfektion, dass es der eigentlichen Frau des Hauses die blasse Verwunderung und den Neid in die Augen trieb. Sie hatte daher später begründete Angst, man würde im Falle des Falles „für so etwas keinen Ersatz finden“. Damit sollte sie recht behalten. Als meine Großmutter die Stelle mit der Begründung aufgab, nun einen eigenen Haushalt auf dem Land ihrer Eltern begründen zu wollen, schlug Dankbarkeit in Missgunst um. Es kam zu einem Vorfall, der die Trennung schmerzlich erleichterte. Besonders von den Kindern fiel der Abschied schwer und auch der alte Schulfreund des Vaters meiner Großmutter fühlte sich im Herzen zwar dankbar verbunden und sehnte sich irgendwie nach „so einer Frau“. Er stellte sich beim Abschied dennoch auf die Seite seiner Angeheirateten, um die Zukunft des eigenen Hausfriedens nicht in Gefahr zu bringen.

Konsequenzen für die Großmutter

Es kam für meine Großmutter, nach einigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, zum Tadel für den „Widerstand gegen Anordnungen von oben“ sowie das „Antasten der höheren Autorität“ in Vertretung des Klassenlehrers. Bloß angedroht wurde der Schulverweis im Wiederholungsfall oder „bei jeder nächsten Kleinigkeit“, wobei der Wortlaut hier bewusst Willkür implizierte. Hinzu kam die schlechte Note für die offiziell nicht erledigte und daher „fehlende Hausaufgabe“. Die schlechte Wertung schrieb sich fortan chronisch bis zum Ende der Schulzeit fort. Fächerübergreifend sprach sich der Vorfall herum und meine Großmutter kam nicht mehr auf einen wirklich grünen Zweig. Dies wurde nicht ausgesprochen, war aber als übliche Gepflogenheit offen bekannt. Es entspricht somit den nicht zu beweisenden, aber zweifelsfrei existenten Tatsachen in der Welt.

Zur Verkündung des Urteils von offizieller Stelle erfolgte am Tag nach dem Ereignis die Vorladung der Eltern beim Schulleiter unter Anwesenheit des Klassenlehrers. Es wurde dabei häufig von „Gewissen“ gesprochen. Die Eltern meiner Großmutter hatten Sinn für Humor, hörten sich die Klage des Lehrers an und sie gelobten Besserung im Namen der Tochter und in ihrer Erziehung. Sie schüttelten die Hände und erzählten ihrer Tochter beim Abendessen dann, dass es keinen Sinn habe, sich mit solchen Leuten groß anzulegen, da man ja doch den Kürzeren ziehen würde und man müsse schließlich sehr vorsichtig sein, dass man gegenwärtig nicht unter die Räder komme. Ihr Verhalten wäre bewundernswert mutig und sei auch mehr als angemessen gewesen, sogar notwendig in gewisser Weise; und ihnen wäre das eigentliche Dilemma, in dem sie sich befinde, durchaus bewusst: Mit ihrem Talent habe sie das Zeug dazu, später einmal an die Universität zu gehen. Es wäre allerdings wichtiger, hier und heute nicht zu kreativ zu werden. Gegenwärtig käme das nämlich jede Familie teuer zu stehen.

Meine Großmutter erholte sich von diesem Schock nicht mehr und schrieb danach nie wieder Zeilen auf. Ihr Tagebuch beendete sie abrupt. Wenn sie in seltenen Fällen mal unter Leute kam, trug sie zwar außergewöhnliche Sätze mündlich in den Raum, sodass sie in der Gesellschaft stets als belesene Frau erschien, doch sie machte sich aus dem Spiel des Bluffs nicht mehr als einen großen Spaß und beließ es dann dabei. Keiner ihrer Sätze wurde je in einem Buch gedruckt. Sie war auch nicht auf die Universität gegangen, sondern hatte sich mit dem Leben als Ehefrau und Mutter, verantwortlich für Grundlagen der Erziehung und Abwicklung des eigenen Haushalts, arrangiert. Und so sehr sich der Vorfall von damals und die Verhältnisse ihr entgegengestellt hatten, war sie doch keine gebrochene und nie eine unglückliche Frau, denn sie wusste, dass sie wenigstens einmal in ihrem Leben sehr großes Glück gehabt hatte und das Wissen darum machte sie noch glücklicher.

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Handlungsweisen der Schulleitung

Der Klassenlehrer zeigte sich darauf einsichtig. Es hätte sich in keinem Falle gut gemacht, eigenmächtig die hier geltende Ordnung zu stören, bevor man an dieser oder anderer Stelle in den höheren Dienst eingetreten war. Er blieb in der Sache zwar anderer Meinung, aber der Schulleiter war ihm schließlich nicht nur als Vorgesetzter einen Schritt voraus, sondern in einer zentralen Angelegenheit ein echtes Vorbild: Er war früher einmal ein „höheres Tier“ gewesen und verbrachte nun hier an der Schule nur seine letzten Jahre, bevor die endgültige Entlassung aus dem Schuldienst und die wohlverdiente Pensionierung folgen würden. – Nüchtern betrachtet, war der Schulleiter ein ganz integrer Mann und im Grunde ein fortschrittlicher Mensch, nicht ohne Fehler, aber auch nicht völlig verkehrt. Er hatte in all den Jahren seines Schaffens viele Höhen genommen, Tiefen gemeistert und alle Abgründe gesehen. Trotz allem behielt er einen klaren Blick für die großen und oftmals sehr schwierigen Zusammenhänge der Welt, und er sah die Notwendigkeit zur Vermittlung im Kompromiss, auch wenn es manchmal gegen die eigene Moral ging.  Er litt daran, aber zeichnete trotzdem stets treu und verantwortlich mit seinem Namen, da auch ihm jede Form von Widerstand als potentieller Katalysator des Chaos Angst bereitete. Und er konnte es sich nicht eingestehen, dass auch er es als Junge vielleicht hätte einmal anders machen können, als die Möglichkeit da war und er es eigentlich wollte, so wie seine Schülerin.