Regen in Kalk

Das Wasser
tropft von dem Gerüst
beim Bäcker ist
viel los, obwohl früh
die Autobahn rauscht
als wäre heute
ein ruhiger Tag
an den Sturm erinnert
das Konfetti auf dem
Bürgersteig, die Ampel
schaltet auf grün
zwei Menschen mit
„Migrationshintergrund“
unterhalten sich auf
einer anderen Sprache
ich denke, dass es
deutsche Mitbürger sind
und bin froh, dass ich
den Rassismus endlich
verstanden habe
für mich ist Herkunft
kein Thema mehr
sondern ein Interesse
ich finde es schade
dass ich mich nicht
mit den Männern
unterhalten kann
obwohl ich
nicht wüsste
worüber, und
ich rede manchmal
zu akademisch für
Kalk, obwohl ich
gar nicht weiß
was damit gemeint ist
qua meiner Herkunft
vor dem Drogeriemarkt
der heute geschlossen hat
beißt sich die Katze in
den Schwanz, habe hier
vorher noch nie eine
gesehen, aber es ist sonst
vermutlich zu viel Trubel
die Obdachlosen liegen
noch immer vor dem Kaufland
in dem der Döner vom
Fußballstar verkauft wird
denke an den Weltfrieden
und fühle mich kurz wie
Miss Germany ohne Preis
aber mit einem Gewissen
an dieser Stelle gerne
Jubel und Applaus einblenden
„Bravo! Bravo! Bravissimo!“
die italienischen Cafés und
Bars sind schon offen, die
deutsche Kneipe hat noch
zu, da ist bald Kostümparty
oder sie war schon, ich traue
mich nicht stehen zu bleiben
um den Zettel zu lesen
obwohl niemand auf der
Straße ist, den es interessieren
könnte, aber ich weiß nicht
wer hinter den Kameras lauert
die hier die innere Sicherheit
gewährleisten sollen, neulich
hat man eine Fahrradfahrerin
kontrolliert, es war eine
Fahrradpolizistin mit einem
gelben Helm, neon, sie
trug eine Brille und wirkte
engagiert, die Erklärung
war sicher berechtigt, derweil
kaufte an einer anderen Ecke
ein mutmaßlicher Serienmörder
einen Revolver und Koks
ein Bauunternehmer hatte ihm
sein Schwarzgeld dafür geliehen
weil er sozusagen
richtig in der Scheiße sitzt
und seine Frau, die zwei Kinder
wissen davon noch nichts
sollen es auch nicht wissen
er ist der Held der Geschichte
zumindest glauben das alle
habe einen kurzen Flashback
an das dreckige Stück Mensch
anders kann man es wirklich nicht
nennen, das gestern abends
durch die Bahn gewandelt ist
der Mann, kein Gespenst, sondern
die Kontrafigur zum Frohsinn
die Hose kaum über den Arsch
der Dreck über den ganzen
Körper verteilt, dort auch
Einstichstellen – überall, ein
dickes linkes Bein wirkte
geschwollen und der Mann
wirkte nicht nur hilflos
er saß neben den Kostümen
wie die Wahrheit, aber er
die Masse blieb schweigsam
irritiert, angeekelt wie ich
und man hatte sich gerade
noch über die Spendenquittung
gefreut, die man vor Weihnachten
für die Steuer produziert hatte
weil man unbedingt auf dem Mars
eine Trinkwasserstation für
Waisenkinder einrichten wollte
der deutsche Mensch denkt
vor allem an sich, denkt groß
und daran, dass die Expansion
gelingt, der Export ist das
wichtigste Geschäft, im
Inland sind die Menschen
selbst schuld, wenn sie
sich nicht auf die Beine
stellen: „Schaut euch
den mal an, Kinder!
Vorsicht, nicht anfassen
und die Nase zuhalten.“

Ein Clown kotzt
auf dem gleichen Sitz
wenige Stunden später
sein Kostüm voll
und er träumt noch
von dem Mädchen
das er nie kriegen wird
weil sie sich für
einen anderen
entschieden hat
so einfach ist
die Sache und
so ehrlich ist
der Karneval.

Ein Journalist, ein
Unternehmer
und ein Mädchen
teilen sich das Zimmer
mit einem Politikersohn
in der Nähe vom
Rudolfplatz, es darf
niemand wissen
außer das Fest-
kommittee, um
die Reste kümmert
sich die
Abfallwirtschaft, danke
Köln. 3x Kölle Alaaf.

Im Iran wird
ein Oppositioneller
hingerichtet
seine Frau wird
an einen Oligarchen
verkauft, sie träumt
von der Freiheit und
davon, einmal eine
erfolgreiche Politikerin
zu sein, in einem anderen
Land, zu einer besseren
Zeit.

Ich esse heute
ein Weizenbrötchen
mit Butter und Erdbeer
-marmelade, lese in
einem Buch und
bemerke wie gut
es mir geht.

Schreibe ein Gedicht
versuche es bei der Steuer
einzureichen, mal sehen
was das Finanzamt dazu
sagt, wenn man die Kunst
auf die Geldwaage legt.

Ist die moralische
Integrität jetzt schon
wieder dahin, war sie
nie da… ich weiß es
doch auch nicht, aber
heute ist Sonntag
vielleicht finde ich
irgendwo einen
Beichtstuhl, Priester
und Geistliche
laufen in ein paar
Stunden wieder
genug draußen rum
notfalls Klage ich
mein Leid einer Nonne
es ist glücklicherweise
noch Karneval!