Dissonanz

Kontrastreicher Bruch:

Kommen von der Musik
Historische Musik
Konzertsaal

Hier und jetzt
Elektronisch
Club

Wir sprechen über Musik
Singen, machen und zeigen
Sich gemeinsam vergessen

Wer Musik macht und kennt
Die Höhen und Tiefen als
Grenzen des Eigenen
kommt zusammen im Abseits

Was den Moment wirklich klärt
ist Ausdruck durch Empfinden
braucht nur wenig Klang, nur
Stille – – –

Und:
Sprache in all ihren Zeichen.

Stilvoll im Umgang
Mit offenen Armen
Alles gegeben
Offenheit
Bis an die Stelle
Hier
Jetzt
————————————————————-
Veränderung
Grenzziehung
Scharrende Hufe
Ignoriere das Tanzen
Totale Privatheit
Wenn wir das tun
Habe Lust darauf
Während ich schreibe
Doch es muss stimmen
Ort
Zeit
Musik
Mensch
Stimmung

Bin für Radikalität
In der Beziehung
Gebundene Harmonie
Nur wenn alles passt
Ist der Tanz ein
gültiges Instrument.

Hölzern schwingt er den Taktstab
Zum Dirigenten erhebt er sich selbst
Braucht man da kein feines Gefühl?
Tak, tak, tak –

Angezählt wie ein Tolpatsch
Vergewaltigt den Auftakt
Verweigerung des Einsatz
Jeder bestimmt selbst
in welchem Orchester man spielt
wessen Publikum man ist

Zum Schluss zeigt
die Macht ihre Fratze
im Trunkenbold
als geile Gespielin

“Man muss den Kopf
manchmal zu Hause lassen.”
Aufforderung: “Das müsst ihr klären!”
Doch – ich lasse mich nicht
ins Duell schicken

Suche den Stil.

Will dringend nach Hause
Gerate noch nicht aus der Situation
Suche Haltung und fühle mich
Nicht missachtet; geschändet
Vom Verhalten der Gruppe
Die keine mehr ist
– zu klein
Drei ist keine Gruppe
Das merkt man hier deutlich
Einladung in das eigene Appartement
Ich lehne ab; mehr als dankend
Deutlich

Keine Konstellation für diplomatische Beziehungen
Verhandlungen nicht führbar
Wenn diese Grenzen schon überschritten
Ist der Abend am Ende
Verstanden; zu gut
Erkenne die Wahrheit

Suche Professionalität
Ringe nach Luft

Konfrontation mit der Macht
Ich bin kein Herausforderer
Kein Interesse – außer am Menschen
Der Menschlichkeit; als Harmonie
Und als gute Gemeinschaft

Konfrontation mit der Wahrheit
Als ihr schlechtes Imitat
Perversion des Tierischen
Opfere mich gerne
Um zu beenden
Wenn Macht zeigt
Wie Verhalten
Gastfreundschaft konterkariert
Und mich zur Tür bringt
Als funktionalisierte Person
Eines Heuchlers
Der das Dritte nicht als Begehren sucht
Sondern als Besessener

***
Ich bin Europäer
musste nie schießen
und weiß um die Freiheit
und gehe nach Hause
wenn die Aufforderung kommt
oder –
an den Galgen
wenn Gewalt
wieder Welt ist
und Grenzen
sich blutend erheben
über den Häuptern
der andersgläubigen
Ketzer
und wenn das der Preis ist
um Haltung zu wahren
und im Frieden
Menschlichkeit
als Verantwortung
*** sichtbar lachend
den Schlächtern
– zu zeigen.

Balkon

Gestern daran vorbeigegangen. / Heute sitze
ich drin. / Irgendwie komisch. /
Die Gesellschaft macht es, dass es sich
richtig anfühlt. /

Suppe mit Waldpilzen. / Zander an Kartoffeln und
Möhrengemüse. / Erdbeer-Joghurt-Tarte
(oder so etwas in der Art) / Kaffee /

Sie waren schon seit Dienstag hier /
Wir hätten Ihnen doch das Institut gezeigt /
Einladung zur Wiederkehr /
Ich nehme sie an /
Als zeitlich unbestimmten Termin /
Verbindlich im Wort /

Wir sprechen über das Fagott. /
7 Jahre. / Kurzer Austausch. /
Saxophon. / Tauschen Adressen. /
Bleiben in Kontakt. / Via E-Mail. /

Der Blick einer mir nicht bekannten Angehörigen. /
Erkenne Anerkennung. / Man hat wohl gesprochen. /
Das sieht man in ihren Augen. / Ich versuche mich
im dankbar liebevollen, antwortenden Blick. /
Vielleicht gelungen. /

Wir wurden nebeneinander gesetzt. / Wie mir
jetzt klar wird. / Stil bis ans Ende. / Ins
kleinste Detail. / Sitzen vor den anderen. /
Öffentlichkeit pur. / Kein Platz für spontane
Intimitäten. / Falscher Ort, aber / auch gar
nicht gewollt. / Von meiner Seite. / Kenne
nur diese, / lege es nicht weiter darauf
an. / Mehr zu kennen, / in solchen Sachen
rational ehrliche Antwort sowieso schwer; /
selten. /

Zwischen uns und den anderen in
derselben Reihe eine Barriere wie eine
Grenze. / Zwei Uniformierte. / Paar. /
Gemeinsame Orden. /

Zwei Personen in Uniform:

a) Eine Frau, groß, schwarze Haare,
gefärbt, Kurzhaarschnitt, /
überschminkt, / kurzer Rock, / hohe
Schuhe, / im Stehen lange Statur – /
sitzend größer als ich stehend
(vermutlich) /

b) Ein Mann, größer, weniger Haare,
manche schon weiß oder grau, die Reste
sind schwarz, Bart / breite Schultern /
ernster Blick / sehr ernst / wirkt
wenig begeistert /

Sowjets in meinem Klischee. / Das es so etwas
wirklich gibt. / Hätte ich nicht gedacht. / Lache
innerlich laut. / Contenance. /

Es folgt Musik. Fern jeglicher Beschreibung. Hören
– ohne Worte.

Konzert vom Balkon. / Musik. /
Blicke. / Nähe. / Distanz. /
Meinerseits. / Musik./ Nähe. /
Distanz. / Fremde. / Grenzgang. /
Wäre nicht ehrlich. / Applaus. /
Musik. / Zugabe. / Applaus. /
Hingabe. / Körperlos schön. /
Ja. / Aufmerksamkeit. /
Bedingungslos. / Anders. / Musik
zu Ende. / Wir verlassen den
Balkon. /

*** ENDE OFFIZIELLER TEIL ***

Liebe in der Stadt

Die Stadt trägt weiß. Heute, entgegen der Regel, bleibt der Schnee liegen und verwandelt sich nicht sofort in den braunen Matsch, der Autofahrer panisch werden lässt. Ich habe kein Auto mehr, aber ich kenne die Panik von früher, sie ist ansteckend. Es ist wohl eine Erscheinung unserer Zeit, wenn alles schneller und einfach erreichbar ist, dann hat man große Angst vor dem Geschwindigkeitsverlust. Der Mensch macht sich Gedanken über sich selbst, über den Tod und das Leben – die Liebe. Das wird im Bedürfnisparadies vermieden. Aber bringen uns neue Dinge, neue Technik und Apps für jeden Scheiß auch weiter oder nur weiter weg von uns und von der Natur, die wir sind. Ach, das ist eine alte Frage, so philosophisch, der Herr heute…

*Hier stellt sich im Text eine kurze Melancholie ein, die ihren Ursprung im Jahr 2009 hat.*

Manchmal wäre es doch einfacher, ich wüsste gar nicht, also mein ganzes Leben lang, dass es Japan überhaupt gibt. Also Japan, das ist natürlich nur ein Beispiel. Aber jetzt, wo ich die ganze Welt kenne, da muss ich als aufgeklärter Mensch auch überall hinreisen. Menschen kennenlernen, andere Kulturen und das fremdländische Essen! Was ein Stress. Es reizt mich nicht, ich treffe andere Kultur in der Kneipe oder in Kalk. Weiter komme ich nicht. Da ist unser Deutschland den Deutschen, und es ist eine schöne ganze Welt für sich. Eine, die ich bis heute noch gar nicht ganz kenne. Und jedes Mal, wenn ich mit jemandem hier rede, öffnet sich ein neues Tor. Aber sobald ich die Festung der Vielfalt verlasse, schlägt’s mir der Hammer vor den Kopf. Die frische Luft schmeckt nach Plastik und ich huste kurz, der weiße Mann reagiert empfindlich auf Veränderung. Außerhalb von Kalk sprechen wir direkt darüber, welches Land das nächste ist. Fast wie bei Monopoly mit Cheats.

Gestern hatte ich ein Date. Mit einer Frau, obwohl das Geschlecht vielleicht gar nicht so wichtig ist. Also schon, aber auch nicht. Wir modernen Menschen werden über Apps zusammengeführt, verbinden uns mechanisch in einer Nacht. Dann läuft das Getriebe weiter. Das Miteinander wird eingeleitet mit der Anreise. Dann folgt ein kurzes Essen oder wir lassen uns was bringen. Man schaut eine Serie, beginnt sie und dann geht es los. Rein, raus, aus die Maus. Dann liegste da in fremder Welt und biste plötzlich ganz auf dich allein gestellt. Wirste ausrangiert, weggeworfen oder durch die App noch mal recycelt. Je nach Performance, Gesundheitszustand und natürlich gibt es ein Feedback-Formular mit gelben Sternen. Wir sind immer noch in Deutschland.

Da der Mensch keine solitäre Pflanze ist oder sonst zum Egomanen wird, bleibt einem kaum die Wahl. Man fügt sich der höheren Ordnung. Berufswunsch: Alleinherrscher mit Panzerfabrik. Whitepower. Der Rubel würde rollen dieser Tage, aber ich kann kein Russisch und meine Moral ist dann doch noch zu sehr intakt. Das wäre wiederum gut für die Truppe, aber es ist schlecht, weil ich noch in den Himmel kommen will. Bestenfalls später. Und wenn der Weihnachtsmann mir da dann die Bilanz vorliest, dann renne ich weinend zurück auf die Welt, wenn ich höre, was ich auf dem Gewissen habe. Das will ich vermeiden. Ich will ein guter Mensch sein und bleiben. Deshalb gilt für mich: Schlechtes Handeln vermeiden. Karma fällt mir auch sowieso oft sofort auf die Füße. Das tut dann direkt weh. Aua, Mama! Wiedergeburt als Arschloch setzt in der Regel sofort ein, fühlt sich nicht gut an. Kenne ich aus eigener Erfahrung. Niemand ist Mensch in Perfektion. Auch ich habe Fehler, aber Panzerfabrik wäre zu krass. Das kann ich nicht machen.

Mein deutsches Temperament zeigt sich gleich zu Beginn. Obwohl ich mir geschworen habe, dass ich heute die imperialen Narrative der westlichen Zivilisation vermeiden will, erzähle ich sofort wieder eine Geschichte, in der ich als Fabrikbesitzer auftrete. Es fällt mir schwer, der Realität ins Auge zu sehen und niemand erzählt über den Arbeiter in der Fabrik. Keiner will wirklich die Geschichte der Arbeiterin erzählen. Das Mütterchen kocht in Gedanken noch immer das leckerste Sonntagsgericht. Was das angeht, lebe auch ich noch immer im 19. Jahrhundert. Mein Kopf ist offensichtlich eine Echokammer ohne Therapieansatz. Ärztin beißt sich die Zähne aus. Priester wäre erstaunt, versteht aber nur Latein. Keine Medikation, Ping-Pong-Delay bis in alle Ewigkeit. Egal, ich erzähle und greife auf eine Fiktion zurück. Mein Leben ist eine Katastrophe. Ich bin Anfang 40, arm, habe nichts erreicht, fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihr und Urlaub kann ich mir nicht leisten. Reisen ist für mich eine Illusion, aber ich habe neulich in Kolumbus’ Brief aus der Neuen Welt gelesen. Da war ich kurz weg. Dann wieder da. Dann habe ich mich gefragt, wieso die Welt neu ist, wenn man da Menschen trifft.

Die Frau ist beeindruckt von meiner weltgewandten Art, belesen ist der Mann, zwar arm, aber es bleibt eine philosophische Ader. Außerdem ist er auffallend groß, gute Statur, gute 1,80 groß, volles Haar und er könnte Menschen sicher gegen die Wilden verteidigen. Das wäre toll, und bei einem Einkauf könnte man echt was aus ihm machen. Das Ding ist, er hat halt nichts erreicht. Gar nichts. In Buchstaben: G-A-R-N-I-C-H-T-S. Ich lebe mein Leben, schreite voran in Sachen Emanzipation, ich verdiene gut als Projektmanagerin und dann muss ich ihn durchfüttern, seine Klamotten bezahlen und das hört nie mehr auf. Auf Feiern wird er mich blamieren, weil er einfach dieses Arbeitergen in sich trägt. Es wird deshalb auch so sein, dass er sich an mich heranwirft wie eine Klette. Und dann sucht er sich heimlich das nächste Glück. Ich lasse mich aber nicht mehr verarschen. Der wird so hinterhältig sein wie der Händler in Indonesien. Oder der in Peru. Und der in Namibia. Aber keine Sorge, ich kenne das. Ich kenne mich aus. Und für heute ist das gut so. Für heute ist er gut, ich kenne seine Bewertungen. Die waren mit 4,9 Sternen durchweg positiv. Das Ende kläre ich. Ich bin der Chef, ich kann jederzeit kündigen. Notfalls fristlos. Ich bin frei.

Als wir über das Reisen sprechen, da soll ich aufzählen, welche Länder ich schon bereist habe. Ich war bislang nur in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg. Ins Ausland sollte ich damals mit der Schule, aber der Eigenanteil zum Schüleraustausch war zu hoch. Meine Mutter war alleinerziehend und konnte sich das nicht leisten. Mein Vater war ein Schläger. Der sah gut aus, der war verführerisch. Ich verstehe, warum man ihn liebt oder warum man das glauben will, dass man so jemanden liebt. Er hat so eine verfängliche Art und kann die Rolle des Beschützers gut ausfüllen. Zumindest in der Theorie. Er ist die Idealbesetzung für jeden Film. Bezahlt hat er dann später trotzdem nie. Das ist die Praxis. Ich mache meiner Mutter keinen Vorwurf. Ich verstehe sie. Nach Paris ging es für mich trotzdem nicht. Es war zu teuer, meine Mutter hat es so gesagt, wie es ist. Sie habe das Geld nicht, und ich habe sie dann im Futur II getröstet. Ich hätte sicher Heimweh bekommen.

Dann geht es nicht mehr anders. Ich muss die Frage beantworten. Also: Welche Länder hast du bereist? Ich antworte: Eythstraße, Lilienthalstraße, Loestraße, Steinmetzstraße, Feldstraße, Dieselstraße, Kasernenstraße… Sie fühlt sich sichtbar verarscht, aber sie lacht. Vermutlich hat sie für heute nichts Besseres gefunden. Das ist aus meiner Sicht offensichtlich. Sie bleibt, und ich sehe noch immer ganz gut aus, wenn ich die letzten zehn Jahre vergesse. Also streue ich gezielt noch meine lustigsten Begegnungen im Kiosk ein. Da habe ich eine Top5, die zieht immer, das geht in jeder Gesellschaft. Das findet sie witzig, sie ist dann doch noch beeindruckt. Dann erzählt sie mir ungefragt im Detail von ihren Trips: Costa Rica (mit Singlegruppe), Peru (mit Guide), Kolumbien (mit befreundetem Pärchen), Amerika (natürlich mehrfach und ganz), Kanada (kurz), Afrika (nur die sicheren Länder), Afrika+Safari mit einem Ex-Freund (wilde Geschichte), Asien (noch nicht ganz, Stichwort: Nordkorea), China (vor der Pandemie), Australien (nach dem Abitur), Gardasee (mit den Eltern). Inzwischen findet sie das Autofahren und besonders das Fliegen doof. Es ist alles zu viel für das Klima, man merke das jetzt. Die Wissenschaft…

Ich denke kurz an Waterworld mit Kevin Costner und freue mich darüber, wie schön und unbeschwert das Leben in den 90ern gewesen ist. Damals wäre ich gerne Anfang 40 und wie Kevin Costner gewesen. Ein Bodyguard für meine Frau, die beiden Kinder und in meinem Job auch für die Welt. Most Important Me. Ein Mann, seine Erzählung, sein Kampf für das Gute, gegen das Böse in der Welt. Die Rettung für alles. Für die Welt, die ganze. Das kriege ich nicht mehr hin mit meinem Leben und zum Vergleich mit Kevin Costner fehlt auch ein ganzes Stück – Geld, Aussehen, Ruhm. Da muss man ehrlich sein und die Kirche im Zelt lassen (Himmel). Es geht mit dem Gespräch dann unentwegt weiter. Weil ich mich anpassungsfähig zeige, viel zuhöre und bei kritischen Dingen nicht nachfrage, sondern zustimme, finden wir dann doch noch zusammen. Vielleicht hat sie Mitleid und ich habe es auch, darüber sprechen wir aber nicht. Wir fahren mit dem Taxi, sie zahlt. Ab da gibt sie mir fortlaufend Instruktionen, dann wirft sie mich weg, aber sie versucht dabei höflich zu bleiben. Sie schlafe lieber alleine und bitte mich deshalb darum, dass ich „jetzt gehe“. Sie wache außerdem ungern neben einem fremden Mann auf. Alle Männer, die sie kenne, seien am nächsten Tag Arschlöcher geworden. Ich stimme ihr zu. Es ist 4 Uhr in der Nacht, ich gehe zu Fuß und freue mich auf mein Bett. Das Taxi kann ich mir nicht leisten und die Bahnen fahren hier um diese Zeit nicht mehr. Ich gehe zu Fuß und bin froh, dass Köln nicht New York ist.

Auf dem Heimweg denke ich kurz wieder an Japan. Ganz rechts auf der Karte, da liegt die Walfangkolonie. Hinter den Unbekannten im Osten. Es wäre wahrscheinlich gut, wenn man gar nicht wüsste, was da ist. Einfach nur Menschen im kleinen Europa treffen. Hier mal ein Franzose, da eine Spanierin, dort ein Italiener oder eine Türkin. Die Frau ist eigentlich Kurdin, aber das Problem verstehen die Menschen im Viertel nicht, andere kennen es aus eigener Erfahrung wiederum viel zu gut. Es ist so schön anzusehen, dass alles durcheinander ist, aber irgendwie auch nicht. Die friedlichen Häuserdächer sind alle ganz weiß. Die Wege und Wiesen sind bedeckt. Meine Schuhe knirschen im Schnee auf den Bürgersteigen, die um diese Zeit nicht mehr geräumt sind. Es ist noch einmal ordentlich was dazu gekommen. Ungewöhnlich, aber der Winter ist wohl endlich da. Am Fluss gehe ich auf die Brücke, bleibe kurz darauf stehen und drehe mich um. Dann sehe ich meine Spuren und fühle mich wie ein kleines Kind, das den Blankspace gefunden hat. So muss sich Neil Armstrong gefühlt haben. Ich gehe über die Deutzer Freiheit, dann noch einmal durch ein paar kleine Gassen und an manchen Plätzen bleibe ich stehen, weil ich mich an etwas erinnere. Und dann stelle ich fest, dass ich der App heute doch nicht egal bin. Mein Handy vibriert. Ich drehe um und hoffe, dass wir uns in einem neuen Projekt vielleicht kurzfristig geliebt haben werden.

Die Stadt [am Rhein]

Köln, den 04.11.2016

Im grauen Kalk, am grauen Rhein
Und gegenüber liegt der Dom
Wächter über den Dächern
Innig schweigend ohne Stille
Erhaben über der Stadt.

Vergeblich sucht man die Wälder
Auf Bäumen fliegen nur Papageien
Kein Wandern, kein Schreien im Herbst
Sommer wie Winter und zu jeder Zeit
fließt nur ewig davon – der Rhein.

Wie viel Herz hängt wirklich daran?
Dass man von hier nicht verschwindet
Abenteuer der Jugend an anderer Stelle
findet und bleibt oder nicht, – allein
die Stadt, die uns ewig bindet
die Stadt ist wohl die am Rhein.

Sedimentschichten

Jedes Wort
eine Reaktion
ein anderes
ein Lachen
eine Frage
eine Antwort
anders
als
eine Erwartung
der Blick
das Fenster
draußen der Schnee
drinnen
wechseln wir
Phrasen
tauschen sie ein
gegen die
Bedeutungslosigkeit
ein maximalpigmentierter
Versprecher, wir
brechen die
Fragilität der Zeit
in einer Sekunde
des Vergessens

blickt die Trauer
gegen das Alte
hindurch
wie ein
Trauma
die Ungewissheit
eine Phantasie
jenseits der Heimat
sucht man nicht viel
aber
Menschen, die klug sind
und Empathie, nicht für Geld
eintauschen würden, und
die Liebe
nicht
als Sicherheit
kaufen
sondern
gemeinsam
besitzen
jenseits der Gewalt
überall auf der Welt
werden wir uns
treffen, und
siegen
– versprochen.

Bohrungen II

Einstieg in private Geschichte; direkt erzählt. Bilder, Fotos, Dokumente. Klare Worte in ernster Sache. Klares Staccato der Rede. Nicht nur in eigener (da veränderte Musikalität; sonorer). Wenige in eigener. Durch einen Repräsentanten für einen ›Repräsentanten‹. Wollte nie einer sein.
Nun: Familiengeschichte muss erst einmal öffentlich erzählbar sein. Diese hier ist es. Höre zu. Gebannt. Forschend. In der Substanz. Klingen der Sprache. Denke es weiter.

Ich kapituliere in meiner Rolle als Bergmann. Zumindest für heute. Kann nicht einen ganzen Tag über alles verarbeiten, was auf mich einwirkt. Bergbau ist wirklich ein hartes Geschäft. Das muss man eigentlich gar nicht erfahren, um es zu erkennen. Tue es trotzdem.

Lade nun noch einige Beobachtungen und mögliche Errungenschaften des Tages in die letzte Lore – Rufe benommen: “Glück auf!”

*** Dunkelheit (wach; also: nicht schlafend) ***

Briefwechsel und Freundschaft ist ein schwieriges Geschäft. Überwachung ist heute ja unsichtbar. Digital. Früher waren die Leute da wohl noch bewusster in ihrer Vermittlung. Selbstzensur und private Boten für wirklich, wirklich Wichtiges. Kann man sich heute kaum vorstellen. Besonders, wenn öffentlich, dann hohe Aufmerksamkeit und intensive Kontrolle. Er wird doch nicht!
Freunde zu finden zwischen Scheinheiligen und falschen Helden, in diesem fragilen Substrat gemeinsamen Handelns; das ist vielleicht die eigentliche Kunst der Überwindung von Einsamkeit. Verbindlichkeit finden. Führt auch zum Eklat, wenn Spannung zu groß wird, folgt die Entladung. Schlimmstenfalls Explosion. Tote nur dann, wenn nicht genügend Distanz.
Sonst; bestenfalls Freundschaft verschüttet. Verwundungen sitzen tief, können heilen und doch bleiben Narben. Die Menschen sind sich ein schwieriges Gut. Leider.
Es bleiben wirklich nur Fragmente in der Erinnerung. Fetzen. Bestenfalls ein paar Sätze. Schlagworte. Wenn und weil alles so dicht ist.

(Ende der Ausschweifung)

*** Mittag ***

Vortrag fällt aus. Schade.
Vortrag wird gelesen. Auch schade.
Ich bin ein wirklich schlechter Bergmann; ich sagte es bereits glaube ich. Bin ich dann auch ein schlechter Arbeiter? Verliere Ordnung und Chronologie. Dabei bin ich doch sonst so für Struktur gegen das Chaos.

– Letzte Kraft voraus / noch einmal Konzentration –

Haus ohne Hüter, Wunder von Bern, Patriarchat durch Repräsentanten des verlorenen Vaters. Lücken zu füllen. Alternative Geschichte; verleugnete Vergangenheit; geht scheinbar weiter. Kontinuität der Eliten bis in den Tod; und darüber hinaus. Perversion der Geschichte. Kein Einzelfall. Man erinnert die Großen durch Siege nicht durch ihr Blut an den Händen. Schade eigentlich.

Eigen und Fremdbilder vor Gericht. *** Passage gestrichen aus triftigen Gründen ***

Beizeiten: Lektüre (während des Schreibens draußen vor einsetzender Dunkelheit dunkle Wolken am Himmel und Regenbogen, sehr intensiv in der Farbe; Intensität sogar steigend! – eine Woche später, Übertragung der Erinnerung, farblich brilliant und doch angeschrieben gegen das Vergessen. Die Spannung entweicht aus dem Körper und Platz für etwas Neues beginnt.

Fließender Übergang. Rückkehr. Lesung auf Polnisch. Die Abreise hat schon begonnen. Ich merke es nicht, aber es ist da. Der Aufstieg beginnt. Mühsam. Technik versagt. Gehe langsam. Verliere wertvolle Steine, harte Arbeit auf dem Weg zurück aus der Fremde ans Licht am anderen Ende. Ich hoffe, mehr als ein paar Dinge zu retten. Zuversicht steigt gegen Ende, da die Kräfte aus dem Körper langsam weichen (trotz Adrenalin) und schließlich die Stimmen verraten, dass die Oberfläche nicht mehr weit ist. Zurück aus dem Berg. Zurück über Tage. Kattowitz / Köln . Reise zum Mittelpunkt der kleinen Wichtigkeit. Menschen mit Achtung begegnet. Trotz Staub im Gesicht. Schwer atmet die Lunge. Bergbau ist ein hartes Geschäft.

Ein Pascha in Südtirol

Es ist Rassismus
es ist kein billiges Ressentiment
– schweigen

Dann muss man
darüber reden
könnnen
aber wie
aber wer
aber wo
aber sicher
intellektuell
oder
es wird einfach
so gesagt
– einfach

Es ist Politik
es ist Hass
es ist ein alter Mann
und sein heimlicher
Sprecher, sie
suchen
gemeinsam
er sucht
sich und
sie
nach
Bedeutung
*waiting*

Es ist ihre Hoffnung
im Himmel sitzen weiße
Paschas
schwingen die Peitsche
Auchsadistenchristenliebengewalt

Sie steigen auf Berge
genießen die Ruhe
und lassen sich
in ihrem Paradies
von ihren Frauen
und Töchtern
bedienen
den Arsch
wischen
ihre N**Ger
Besitzlose bei Gesetzlosen
Germany, 12 Points
Deutschland, den Deutschen!
+++

Wenn du arm bist, bist du ein Arsch (ohne Papier)
wenn du kein Deutsch kannst, stirb arm oder geh
der Himmel sieht düster aus
– schwarz?

Schon skandieren sie erste Parolen
sie wollen eigentlich sagen
„du kommst hier nicht rein“
du sollst ein armer Pascha sein
und bleiben
damit du für mich anschaffst
und dann
bist du egal

im Himmel ist kein Platz für Allah

unser Schachbrett ist whitesonly
das musst du verstehen
wir sind Christen, Demokraten
und wir reiten auf Einhörnern (Eichhörnchen?)
auf dem Regenbogen
während wir die Fremdländer
die andere Rasse
für die „Produktivität des Landes erschließen“
aka eure Hoffnung ausbeuten
und eure Träume versklaven
keine Entschuldigung, reine Gewalt
ihr müsst euch benehmen
„braver Babo sein, er soll“
ihr müsst
– wir

Während Rich Kids
und Oligarchen
+ihreBegleitung
auf Ibiza feiern
fängt sich einer
eine Respektschelle
*bababam*

Blut tropft
das ist scheiße
natürlich
das ist gegen das Gesetz (welches?)
ich bin auch ein Reicher
er auch
sie

Wir stehen in Konkurrenz zueinander
wir sind alle arm irgendwie
über unsere Armut spricht niemand
über Armut spricht man nicht
über Armut, was

Niemand ist Arm
solange der Arsch
nocht gut versorgt ist
wer will schon Gleichheit
– wirklich

Wenn wir wirklich alle arm sind
wer wird dann noch Hobbypilot