Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Einparteiensalat

Kaum ist da wer
der was verändert
da kommt das Volk
fühlt sich gegendert
stoppt den Mann
auf seinem Boot
solch Rettungstat
ganz ohne Not
ganz ohne Wandel
geht es nicht, sagt
er und bekommt
die Spucke in die Haare

demokratisch
geht es hier nicht
weiter, kein Argument
macht das noch klug
die Mehrheit zweifelt
schon am Selbstbetrug
schon fordert jemand
neue Wahlen, er lässt
Reaktorwerke glimmen
die Presse spielt
mit neuen Zahlen
Meinungsinstitute
stellen die Vertrauensfrage
einer baut schon Propaganda
Terrorstaatler recyceln Flyer
alte Freunde trifft man gern
besingt im Burschenfieber
das Ende schon vom Todesstern

niemand wollt es hören
niemand wollt was tun
niemand wollt Veränderung
die Wohlstandslitanei in D
sie leidet gerad an der Partei
die, die früher nie geändert
sie fühlt sich plötzlich auch
gegendert, schon verbietet
man per jure den Verlust
von Männlichkeit, damit
wenigstens im Süden
noch alles ewig gestrig
bleibt, und wenn das
FAX dann wieder streikt
und wenn man die Rente
ganz verweigert, dann
hängt über der Tür
zum Trost und
hoffnungsvoll
das Kreuz
.

Literatur vor der Entscheidung

Wenn ich die Geschichte meiner Generation betrachte, so bin ich verwundert darüber, was wir nicht vollbracht haben, obwohl man ja hätte werden können, zum Beispiel: freier Schriftsteller in der Bundesrepublik.

Wenn ich in die Welt hinausschaue oder hinein ins Internet, dann sehe ich nur Erfolge, nirgendwo Scheitern und Widerstand. Es ist das Paradies, weil es so gut ist, werden reihenweise Menschen depressiv. Paradoxerweise kommen trotzdem ziemlich viele, um diesen Hype zu erleben.

Man könnte sicher einiges bemerken über gewisse Struktur-Unterschiede zwischen früher und heute, Europa und Nicht-Europa. Aber nachdem die Systeme besiegt schienen, haben wir uns nur noch härter verglichen.

Das Schweigen in Deutschland hat einen Preis. Es kostet die Freiheit und führt zur Unterdrückung, zurück in den Faschismus oder voraus auf die Stunde 2033. Dann wird eine Entscheidung fallen, deren Radikalität nicht von ungefähr gekommen sein wird.

Was in Deutschland kommen wird, wird nicht der Sieg der Literatur sein, kein Triumph einer Bildungsnation und kein intellektuelles Weltbürgertum. Stattdessen erwartet uns ein Wiedererkennen der totalitären Gesinnung, die uns noch immer festhält in der autistischen Blase der Bürgerlichkeit.

Ich erinnere daran, weil Sie nur, wenn Sie diese Tatsache bedenken, die besondere Situation verstehen können, in der sich die Schriftsteller meiner Generation heute überall befinden.

Wir werden es erleben, dass eine Menschheit mit hoch entwickelter Sprache die gesamte Literatur vergessen wird. Kein Mensch wird mehr emigrieren können, weil es kein Land geben wird, in dem man die Sprache der Kunst noch versteht.

Ich klage übrigens niemanden an, am allerwenigsten die Menschen, denen ich täglich begegne.

Wir können die Sache heute noch stoppen, es muss nicht dazu kommen, dass wir die Literatur noch einmal beenden. Denn das hieße, dass wir noch einmal den Menschen beenden.

Als Schriftsteller ohne Generation arbeite ich heute daran, kein Ende der Literatur zu akzeptieren. Deshalb lese ich in den letzten Tagen vermehrt in Büchern, die den Bibliotheksstempel „ausgeschieden“ tragen.

Nach Auschwitz keine Bücher mehr zu lesen, können wir uns nicht leisten. Es bleibt uns keine andere Wahl, leider müssen wir es dennoch versuchen, auch wenn die Wohlstandsbäuche fett sind, und auch wenn das Lesen uns von der Urlaubsplanung abhält.

Ich denke, dass die Welt sehr gut ohne uns leben kann, ohne diesen Luxus, den Menschen und seine Literatur. Aber ich hoffe, dass es nicht dazu kommt.

Phantompferd

Es springt über Schatten
es hat keine Angst
es trägt keinen Sattel
es hat keinen Herrn
es zieht keine Kutsche
es lebt einfach frei
irgendwo streift es
nachts durch die Wälder
und denkt sich dabei
AU! Das war ein Baum.

Neues Jahr, neue Zeit

Feuerwerk
knallt
noch
.
das alte
Jahr
ist
vorüber
.
das neue
Jahr
ist
frisch
.
die ersten
schweißen
es
schon in Folie
ein
.
das erste
Foto
ist
perfekt
.
der erste
Abend
ist
es
auch
.
was
soll
noch
mehr
.
kann
das
bitte
so
bleiben
.
Du
Da
.
flüsterst
mir ins Ohr
und ich
atme
dich
als
Meldodie
.
großaufnahme
WIR
.
unbesiegbar
durch
raketen

Der Prozess

In einem Gerichtssaal
am Rande der Stadt
wartete der Richter
darauf, dass der
Angeklagte endlich
seine PowerPoint
geladen hatte.

Nach einer kleinen
Ewigkeit begann dann
die Vorlesung.

Welche Kaninchen passen
in unseren Stall

Rassen und Klassen
die sich bewährt haben

Mit bunten Folien
und fachmännischen
Diagrammen (die der
falsche Doktor aus
Pakistan bekam)
versuchte er
seine vermeintliche
Unschuld im Fall
zu beweisen.

Seine Argumentation
war so überzeugend
dass der Richter bis
zuletzt nicht glauben
konnte, dass
„Untermenschen“
ihn
der Untreue wegen
angeklagt hatten .

Mit ernster Miene
erklärte der Mann
dass die Wahl des
perfekten Kaninchens
für jeden Menschen
von existenzieller
Bedeutung sei.

Verschiedene
Persönlichkeitstypen
wurden mit
verschiedenen
Kaninchenrassen
abgeglichen
Vermögensklassen
wurden
Felldichteklassen
zugewiesen.

So stand das
schelmische
Zwerkaninchen
bald neben dem
majestätischen
Widderkaninchen.

Für den Höhepunkt
hatte der Angeklagte
eine
Geselligkeitspyramide
vorbereitet, in der sich
die Anwesenden
und
der Richter
selbst entdecken
konnten

im Publikum kam es
bald zu einem lauten
Stimmengewirr, weil
sich natürlich alle
zuordnen
wollten, selbst der Richter
zeigte mit dem Finger
durch den Raum und
etablierte eine engagierte
Suchbewegung

nach einiger Zeit bat er
für das Gericht um Ruhe

nach dem Fazit zogen sich
die Verantwortlichen zur
kurzen Beratung zurück

als die Verantwortung
zurück in den Saal kam
erhoben sich alle
Kaninchenliebhaber
von ihren Plätzen;
der Richter verkündete
das Urteil kurz und
schmerzlos, die Präsentation
sei wirklich gelungen gewesen
es gab viele bunte Bilder und
er habe so oft an seinen Opa
denken müssen, der damals
Kaninchenzüchter war, was
der wohl gesagt hätte, der
wäre bestimmt hocherfreut
gewesen, dass sein Gewerbe
nicht ausstirbt. In jedem Falle
seien auch die Folien nicht zu
voll gewesen, aber man könne
mit Schriftgröße 6pt sicher für
eine bessere Lesbarkeit in der
Ferne sorgen. Ansonsten seien
das Schwarz so schön schwarz
und Arial Black so eine gut
gewählte Schriftart gewesen
das habe ja schon fast etwas
Politisches, wenn man mal
darüber nachdenkt!
In jedem Falle sei die Anklage
für das Gericht im Angesicht
der bestechenden Tatsachen
kaum mehr nachvollziehbar
der blanke Hohn, wie man
diesen Vorzeigecharakter
in eine solche Situation
bringen könne, das verstehe
er als Herr des hohen Hauses
ganz und gar nicht. Die
Mitwirkung sei jedenfalls
den gesamten Prozess über
vorbildlich gewesen und die
Geldgeschäfte seien transparent
im Zusammenhang der Zucht
dargestellt worden. Die Kosten
die unklar seien, stünden wohl
im Zusammenhang mit der
unvermeidbaren Vergrasung
von sogenannten ›Unterkaninchen‹
also solchen, die man keiner Klasse
zuordnen könne, weil entweder die
Abstammung unklar oder
das Verhalten nach Maßstäben der
offiziellen DIN 88-3K als ‚asozial‘
zu bezeichnen sei, insofern
könne man kein Fehlverhalten
feststellen – im Gegenteil, man
strebe eine Justizreform an, damit
solche Dinge gar nicht erst zur
Anklage kämen. Hinterher
habe der Richter, das sagte
er dann bereits im informellen
Teil, habe er noch einige Fragen
an den Experten, der solle also
bitte nicht sofort zur Feier
des Tages verschwinden

im Publikum konnte man
kurz nach der Verkündigung
zunächst
einen lauten Seufzer vernehmen
dann
gab es tosenden Applaus
und alle wollten den Star
selbst einmal anfassen

der Trubel wurde so laut
dass der Richter sogar
noch einmal zurückkam
um dann, schon nicht mehr
offiziell gekleidet, für einen
angemessenen Umgang
mit dem Gericht
zu beten

die Vorwürfe, der Mann
sei Teil einer korrupten
Vereinigung, die sich des
Menschenhandels schuldig
gemacht habe, wurden
damit allesamt fallen
gelassen

Heute ist mein Chef wieder hier
und erzählt mir, dass ich raus bin
wenn ich die Kaninchen weiter
so schlecht gelaunt selektiere
und er drohte mir damit
dass das bald ohnehin Maschinen
machen könnten, dann habe es sich
sozusagen „ausselektiert“, wie er
es nannte und dann verließ er die
Halle mit den Worten, aber es
gebe sicher „ein Bonusprogramm
für Untermenschen“ in diesem
„Unrechtsstaat“. Ich bin dann
einfach gegangen und habe
das Kaninchen in meiner Hand
mitgenommen. Keine Ahnung,
ob es zu mir passt.

Mir ist so langweilig

Als ich klein war
da wollte ich immer
groß und was werden
das ist inzwischen
vorbei oder passiert
keine Ahnung
vielleicht ist auch
alles noch früher

mich lähmt der Blick
die Blicke noch mehr
vor den Fenstern
hängen Jalousien
im Internet hängen
Filtermenschen ab

alles was ich bin
erklärt man mir
ist schon Geschichte
wenn ich nur gewesen
bin, wo bin ich dann
jetzt

wie soll ich mich
in der Zukunft
zu Hause fühlen
wenn alles dort
Vergangenheit
ist

meine Zeugnisse
bezeugen Muster
die langweilig
sind

Bildungssysteme
bilden oder erziehen
Kapitalismus unterwirft
die Natur aber auch

eigentlich will ich
nur ein Gedicht sein
vielleicht auch nur
ein einziges Wort
schriftlos im Hals
von schöner Gestalt
klingend rein, frisch
wie eine junge
Melodie

sie haben mir eine
Reise gebucht, ich
muss durch den
Körper eines
gelangweilten
Autors

der Betrieb soll
unterhalten
bitte keine Störungen
durch
Intelligenz

verkaufst du dich
an wen, für wie viel

verkaufst du mich
dann bist du
alles
aber keine
Literatur
.